: Aber Fliegen müssen sie können
■ Dick und immer dicker: Die dunkle Seite des Herzens von Eliseo Subiela im 3001
Das meiste im Leben ist Oliverio egal, selbst was die Frauen betrifft. Ob eine Brüste hat wie Magnolien oder getrocknete Feigen, ob ihre Nase den ersten Preis beim Möhrenwettbewerb gewonnen hat – egal. Nur eine Sache muß stimmen: Sie muß fliegen können. Wenn eine nicht fliegen kann, vergiß es. Das sagt er den Mädels auch von Anfang an, aber sie wollen mit ihren poetischen Öhrchen seine Rhetorik für metaphorisches Vorspiel halten. Und obwohl Oliverio ein Dichter ist und das Bett im romantischen Buenos Aires, ist das eine eklatante Fehleinschätzung. Damen, die ihn nicht fliegen lassen, werden nach dem Sex flügellos durch einen Mechanismus im Bett in die Tiefe geklappt.
Der argentinische Regisseur Eliseo Subiela ist offensichtlich auch schon mal aus einem Bett gefallen. Der 44jährige, der gerne betont, daß alle seine Filme biographisch seien, ist damals bei Wilhelm Reich gelandet. Deshalb hat der fleißige Argentinier, verantwortlich für Buch, Produktion und Regie, Die dunkle Seite des Herzens ganz in blau gehalten – blau ist nach Reich die Farbe des Orgon, also des kosmischen Orgasmus. Und um nichts weniger geht es dem Regisseur und seinem Protagonisten in dem 130minütigen Epos.
Der Himmel kommt dann wie sooft als Hure. Gerade wenn sich beim Betrachter die Angst einstellt, Oliverio (Dario Grandinetti) würde nichts weiter als zwei Stunden mit wehendem schwarzen Mantel, unrasiert und bohemien-looking durch die melancholiespuckenden Straßen Buenos Aires' stiefeln, führt ihn der Auftrag einer Werbeagentur nach Montevideo. In einem Nachtclub lernt er Ana (Sandra Ballesteros) kennen und siehe da, das Fliegen kann so einfach sein: Für eine Stunde braucht man nur 100 Dollar.
Ana könnte die dunkle Seite seines Herzens erhellen, wäre Ana nicht weniger poetisch als prosaisch, um nicht zu sagen materialistisch im Leben verwurzelt. Außerdem weiß die hübsche Hure, die natürlich auch Gedichte liest: „So eine wie ich wird sich nie ändern.“Da nimmt das Drama seinen Lauf. Oliverio muß weiter als Nicht-Erlöster durch die Straßen von Buenos Aires laufen und unwilligen Autofahrern an roten Ampeln Poeme rezitieren oder, zumindest ein Teilerfolg, am Imbiß Gebrauchslyrik gegen Steaks für sich und seine Männerkünstlerkumpels tauschen.
Die argentinisch-kanadische Koproduktion aus dem Jahr 1992 bedient eine erschreckende Menge Klischees. Man könnte sie mit ihren schlechten day-for-night-Aufnahmen, der pathetischen Slowmotion im Gegenlicht und dem schwülstigen Soundtrack unverblümt eine Zumutung nennen, hätte diese Zumutung nicht Methode. Denn so banal und kitschig es ist, daß der Tod als schwarz gekleidete Frau durch den Film irrt; daß Oliverios Mutter als Kuh auf der Weide ihre Kommentare abgibt, hat ein gewisses überzeugendes Groteskenpotential. Immer, wenn es allzudicke kommt, kommt es noch dicker und rettet mit surrealistischer Selbstverständlichkeit die Bilder vorm Plattitüden-Overkill. Das Herz des Liebenden, auf dem Tablett serviert als pochender Fleischklumpen, führt so gesehen, ganz stringent zum erhofften Flugsex. Und zum Großen Preis des Internationalen Filmfestivals in Montreal führte er auch.
Christiane Kühl
3001 Kino
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