Gleiche Augen, gleiche Füße

■ Internationale Umwelt-Filmtage im Lagerhaus noch heute, Samstag und Sonntag

ilme gefällig über die Ausbeutung des Regenwaldes, das Bauernsterben in Europa, die Castortransporte oder das Zubauen eines Moorgebietes durch Daimler Benz? Ach nee, kennen wir, wissen wir, brauchen also keine Wochenend-fun-Abende dafür zu opfern. Schließlich findet politische Bildung morgens zwischen Acht und Halbneun statt bei der Zeitungslektüre – ein leckeres Honigbrötchen zwischen den Zähnen. Damit ist gewährleistet, daß politisches Bewußtsein zu einem staubigen Daten-Zahlen-Floskeln-Berg pulverisiert, bar jeder Antriebskraft. Einzelschicksale verkommen in klassischen Zeitungsfeatures zu atmosphäreauflockernden Impressionen. Im Film dagegen schauen uns Augen entgegen, zerstört oder selbstbewußt. „Wir sind Menschen wie ihr, mit denselben Füßen und denselben Augen“, sagt der junge Indiochief Moi frontal dem Zuschauer ins Gesicht. Auf Zeitungspapier ein bleierner Carnapscher Nullsatz, im Film aber ergreifend zum Heulen – und Sprit für die Hirnmaschine.

Ein gut gemachter Dokumentarfilm erzeugt unweigerlich irgendwann einmal das Aha-Erlebnis: Wußte man eigentlich alles, und wußte doch nichts.

Die Umweltfilmtage zeigen die zwanzig besten Filme der 14. Ökomedia 1997, eines Umweltfilmfestivals in Freiburg, und unterfuttert kaltes Wissen mit Merkbildern. Im amerikanischen Film „Trinkets and Beads“(1996) über die Kolonialisierung ecuadorianischer Urwälder durch Ölfirmen meint ein verschreckter Indio noch gutgläubig: „Sie geben uns alles.“Kameraschnitt. In der Mitte des Bildes triumphiert eine weiße Kloschüssel. Drumherum eine makellos weißgeflieste Minikammer mitten im Urwald. Eine Metapher für die Art der Zivilisationsbestrebungen des weißen Mannes. Der Film interessiert sich vor allem für eine teuflische Verflechtung von christlichem Eifer und den Interessen der Ölmultis. Weil die Huaoronis alle Fremden ohne Umschweif abmurksten, setzten Shell, Texaco und Maxus Missionare und 35 Anthropologen auf ihre Lohnliste zwecks „Zivilisierung“der „Steinzeitmenschen“. In wunderbaren TV-Archiv-Fund-stücken des Jahres 1957 kann man sehen, wie die süßlich lächelnde, klobig-verfettete Missionarin Rachel Saint in einer Talkshow eine zierliche Indiofrau zoogerecht vorführt. Saint ist im Grunde gut. Ihr Verbrechen heißt Dummheit. Sie erkannte die „Heilige Schrift als Antwort auf alle Probleme“der Indios. In einem anderen Archivschnipsel macht die Zahnpastafirma Crest ihre Werbung mit zünftigen Ölbohrern: „Täglich bekämpft er Karies mit Crest“, röhrt es aus dem Urwald. Im nächsten TV-Dokument überreicht Crest der Missionarin einen Scheck. Die Petroindustrie weiß, wem sie Dank schuldet. Und der Zuschauer sieht die Gesichter und Gesten, das Lächeln und Schimpfen hinter der Katastrophe. Der Film zeigt Ölbosse, die Öko-Floskeln virtuos zu sprechen gelernt haben und dennoch kontaminierten Sondermüll in Flüsse und Straßenasphalt entsorgen.

„Wo der Krieg vorbeizog“ist eine traurige Freak-Show der vietnamesischen Opfer des Agent-Orange-Einsatzes. Ein Mann zeigt ein Foto von einem zerknautschten, nicht lebensfähigen Baby. Gesunde Augen schauen aus deformierten Schädeln. Augenlose Höhlen schweigen in schönen Gesichtern. Hustende Zwergmonster blicken traumverloren in ungeahnte Wahnwelten. So macht der Film vorstellbar, was es für Familien bedeutet, mit Verstümmelung und Irrsinn den Alltag zu bestreiten.

Das Festival zeigt aber auch Beispiele des Widerstands. Fast skurril: Im Kinderfilm „Die Rechte der Kinder“wollen erwachsene Filmemacher den kleinen Stepkes beibringen, wie sie sich erfolgreich gegen Erwachsene – sie selbst? – und ihre verlogene Demokratie zur Wehr setzen können. Der Film verschweißt Sozialproblematik mit verspielter s.f.-Fantasie. Er ist nur eines von vielen Beispielen dafür, daß Dok- und Bildungsfilme in der formalen Aufbereitung eines Themas zunehmend mutiger, experimenteller, freier vorgehen. bk

Freitag: 16h Thema Kinder, 20.30h Thema Regenwald, 23h ein the-day-after-s.f. / Samstag: 16h, 20.30h u.a. Agent orange, 23h Cyberspace / Sonntag: 11h Anti-AKW-Widerstand + Frühstück, 16h Kinderfilm