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Der ganz alltägliche Wahnsinn

■ Die psychisch kranken Schauspieler der Theatergruppe Pinelon Forte stehen mit eigenem Stück auf der Bühne. Der bitterschwarze Humor geht unter die Haut. Neues Selbstbewußtsein nach der Psychose

„Aaaaah!“ Der Schrei wirkt befreiend, und die Stimmen in Tiffsiehns dröhnendem Hirn sind weg – vorläufig jedenfalls. Doch der Engel ist empört: „Die Leute denken ja, du bist verrückt, wenn du so brüllst!“ „Ja, bin ich das denn nicht?“ „Das“, sagt Angie Engel und hebt dabei beschwörend die Stimme, „kommt immer auf die Sichtweise an.“

Biß und bitterschwarzer Humor beim „Kongreß absurd“, dem neuen Stück der fünfköpfigen Theatergruppe Pinelon Forte, in dem der ganz alltägliche Wahnsinn heute und morgen als Komödie auf der Bühne steht. „Psychische Krankheiten lösen bei vielen sonst eher Ängste aus“, erklärt Antonia von Fürstenberg, Schauspielerin, Regisseurin, Psychotherapeutin und Leiterin der Gruppe. „Denn man weiß nicht, wie man mit den betroffenen Menschen umgehen soll.“

Pinelon Forte, die 1991 gegründete Schauspielergruppe in der Kontakt- und Begegnungsstätte Pinel e.V., ist nach eigenen Angaben die einzige Theatergruppe in Berlin, in der sich sogenannte Irre zusammengefunden haben. Keine körperlich oder geistig behinderten Menschen stehen hier im Rampenlicht, sondern solche, die ihren Alltag durch psychische Krankheiten lange Zeit nicht meistern konnten.

Für die fünf Akteure zwischen 30 und 60 ist Theaterspielen keine Beschäftigungstherapie, sondern künstlerischer Ausdruck. Das Spiel hat den meisten von ihnen neues Selbstbewußtsein gegeben oder aus Depressionen geholfen. Ihre persönlichen Situationen nehmen sie mal mit zweideutigen, mal mit grimmigen Sätzen auf die Schippe: „Psychisch Kranke müssen bei Rot über die Ampel gehen“, kreischt Bärbel Kursave (60) als hinreißend spießige Krankenhausdirektorin im roten Kostüm.

Mit diesem „Witz aus der Psychoszene“ spielt sie auf Ignoranz und Ausgrenzung innerhalb der Gesellschaft an, mit denen viele psychisch Kranken selbst in Familie und Freundeskreis konfrontiert werden. Bärbel Kursave, 1992 selbst schwer psychisch erkrankt und aus diesem Grunde aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden, kann davon aus eigener Erfahrung berichten. Bei drei der insgesamt vier Aufführungen der Gruppe hat sie mitgespielt und dafür wöchentlich geprobt, und dadurch hat sie auch im Alltag eine neue Struktur bekommen und ist seit letztem Jahr „wieder dabei“.

„Die Erfahrung hat gezeigt, daß freie Improvisation bei einigen der psychisch Leidenden Angst auslöst, während ein vorgegebener Text eher dem Bedürfnis nach Struktur entspricht“, erklärt Antonia von Fürstenberg. Die Gruppenleiterin ist Autorin des Drehbuchs, doch der „Kongreß absurd“ ist dennoch nicht allein von ihr: Teilweise hat sich von Fürstenberg beim Schreiben auf einen Freund bezogen, den sie während seiner Psychose erlebt hat, teilweise sind die Szenen ursprünglich Improvisationen der Gruppe.

Für Gitta Dressel, Leiterin der gemeinnützigen Einrichtung Pinel, wo psychisch Kranken seit 1979 neue Lebensqualität außerhalb von stationärer Behandlung finden können, bestätigt sich mit Pinelon Forte die Idee ihres Projekts: „Bei uns liegt der Schwerpunkt nicht auf den Defiziten, sondern darauf, daß jeder neue Talente entdecken kann.“ Kerstin Marx

„Kongreß absurd“ heute und morgen um 18.00 in der Ebersstraße 67

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