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Letter from ShanghaiFeuertrunken im Heiligtum

■ Auch Ernst Jünger schwebt nun als Weltgeist über den Wassern des Huangpu

Schulfeiern sind etwas Mühevolles: Stundenlang muß man still auf unbequemen Bänken aus der Turnhalle hocken, während die Erwachsenen bequem in den Stuhlreihen Platz nehmen. Man muß Reden über sich ergehen lassen, die zwar mit freundlicher Onkelmiene und ebensolchem Ton an einen adressiert sind, die aber von Dingen handeln, die einen nicht wirklich etwas angehen.

Am Dienstag der letzten Woche konnten wir die Kinder der deutsch-französischen Schule dabei beobachten, wie sie ergeben die Einweihung ihres neuen Schulgebäudes vorbeigehen ließen. Als echte kleine Kosmopoliten lauschten sie höflich den Vor- und Rückübersetzungen aus dem Chinesischen, Deutschen, Englischen und Französischen, in denen den „lieben Kindern“, den „xiao de pengyoumen“ (kleinen Freunden), so manches Wertvolle mit auf den Weg gegeben wurde. Wer aber hätte hier, inmitten eines Neubaugebiets voller Sandhaufen, während der kindgerecht gehaltenen Bestätigung deutsch-französischer Freundschaft auch im Pädagogischen... – na, vielleicht hätten wir es doch erwarten können. „Chers enfants“, hub der französische Botschafter an, nun möchte ich euch ein Wort meines Freundes Ernst Jünger aus den „Marmorklippen“ zitieren. So schwebte der Geist des Waldgängers über uns und beschwor Kindheit und Erinnerung.

Amüsierte deutsch-französische Blickwechsel, aber schon begannen wieder die Darbietungen der Kinder, die – nach einem dreisprachig vorgetragenen „Frère Jacques“ – zu einer wunderbar schiefen und atemlosen „Ode an die Freude“ ansetzten. Nun klingt das Beethoven-Schillersche Joint-venture in China nicht halb so exotisch, wie man vielleicht vermuten würde. Ohne sie zu suchen, findet man die Hymne an die Brüderlichkeit allerorten: Der Kinderchor des Shanghai Children's Palace sang uns das Werk eines chinesischen Komponisten vor, das dieser eigens für die Weltmeisterschaft im Frauenfußball geschaffen hat. Eingebettet in die heroischen Klänge hörten wir eine chinesischsprachige Adaption der „Ode“. Eine ähnliche Sampling-Technik verwandte auch der chinesische Starkomponist Tan Dun, dessen Auftragswerk „Symphony 1997 – Heaven – Earth – Mankind“ die Übergabe Hongkongs mit ästhetischem Gewicht ausstattete. Zu erstaunlichem Klangkitsch anverwandelt oder im Originalzustand erfreut sich Beethovens Chorwerk außerordentlicher Popularität im neuen China. „Beiduofen“, so Beethovens chinesischer Name, und viele andere Vertreter der klassischen Musik des Westens werden gehört, gespielt und geliebt.

Die „Millionen“, welche die „Ode an die Freude“ so emphatisch umfängt, hätten während der Kulturrevolution gegen bestehende Verbote dieser als bourgeois und dekadent geschmähten Klänge verstoßen; inzwischen kann man sich durch die Beherrschung eines Instruments (Klavier und Geige liegen unangefochten an der Spitze) Zugangserleichterungen etwa zur anspruchsvollen Qinghua-Universität in Peking erwerben. Klassische europäische Musik gilt als edel und schön, erfreut das Gemüt, kann unter Absehung von politischen Bedeutungen genossen werden und scheint zudem erfreuliche Distinktionsgewinne zu verschaffen. Die wohlbehüteten Kleinen im Children's Palace werden also, die Mütter immer im Hintergrund des Übungsraums, weiter an ihren Fertigkeiten feilen. Und Jünger? Der hatte seinen Todestag nicht nur mit dem Brecht-Jubiläum, sondern auch mit der Einweihung der deutsch-französischen Schule Shanghai auf ewig verbunden. Stephanie Tasch

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