: Ofenheizmethoden
■ Der Winter liegt im Sterben: Richtig heizen und andere Arten, zu Rande zu kommen
In den Berliner Innenstadtbezirken gibt es etwa 140.000 Wohnungen mit Ofenheizung. Vor ein paar Jahren erließ der Senat eine Verordnung, wonach bis zum Jahre 2002 alle innerstädtischen Ofenheizungen aus Umweltschutzgründen vernichtet werden müssen. Später wurde die Anordnung jedoch wieder zurückgenommen.
Kachelöfen sind romantisch. Sich an den Kachelofen zu lehnen, Bratäpfel zu machen, ausufernde Romane zu lesen, Sherry zu trinken und Kuchen zu essen oder das im Sommer im Blumenkasten gehegte und im Ofenschacht getrocknete Gras wegzurauchen. Wenn man alle paar Tage in den Keller geht, um Kohlen zu holen, kommt auch oft eine grimmige Befriedigung daher, denn man heizt ja sozusagen mit eigener Kraft. Manchmal ist man auch zu faul, neue Kohlen zu holen, oder hat sich in der Wettereinschätzung geirrt. Und dann ist der Winter plötzlich doch wieder da; Anfang Februar. Während des Winterschlußverkaufes pflegt ja der Winter erst richtig zuzuschlagen. Alle Fenster sind vereist, und man fühlt sich sehr verträumt wie in einem Kristall, wenn es nicht so bitter kalt wäre. Gern spricht man dann über Ofenheizmethoden; allein oder zu zweit. Oft gibt es dabei Streit, und Zerwürfnisse drohen. M. warf mir neulich zum Beispiel vor, falsch zu heizen. Während ich alle paar Stunden Kohlen nachwarf, um die Glut am Leben zu erhalten, heizte M. jeden Tag einmal ordentlich durch und schloß die Ofendurchzugsklappe eher nie, wegen Kohlenmonoxidparanoia. Sie schichtete acht Briketts sorgfältig übereinander, ich warf sie eher ungeordnet in den Ofen. Sie verwendete beim Anheizen Anzünder, während ich mir angewöhnt hatte, Anzünder unökologisch und geldverschwenderisch zu finden. Außerdem kriegt man noch mehr Wärme, wenn man mit Zeitungen und Apfelsinenkisten anheizt. Wahrscheinlich ist ihre Methode tatsächlich zeitsparender, schließlich hatte sie nur einmal am Tag mit dem Heizen zu tun, während ich vielleicht viermal zum Ofen rennen muß. Dafür dauert ihr einmaliger Heizvorgang viel länger als meiner! Ein Argument, dem nur schwer zu begegnen war, hatte sie jedoch auf ihrer Seite: Bei mir war es meist kälter als bei ihr. Ihr Zimmer war allerdings auch kleiner.
Außerdem hatte sie zusätzlich noch eine Gasheizung in ihrem Zimmer, was einer unlauteren Wettbewerbsverzerrung gleichkam. Beide fühlten wir uns bei unseren Streitigkeiten sehr kompetent: Ich berief mich auf langjährige Ofenheizerfahrung und meinen Vater, der vierzig Jahre lang als Heizungsmonteur gearbeitet hatte; sie bezog sich in ihren irrigen Ansichten auf eine gewisse „Edith“. Die habe es ihr so gezeigt und müsse es ja wissen, schließlich hätte sie fünfzig Jahre so geheizt. So vergingen die Wintertage mit überflüssigen Streitigkeiten in zugigen Zimmern. Wir warfen einander vor, unsere Öfen nicht verstehen zu wollen, nicht nett genug zu ihnen zu sein, und meinten was anderes. In ihrem Badezimmer war es warm – dank Badeofen –, in meinem Badezimmer war es immer kalt. Dafür hatte ich einen Gasboiler. Manchmal scheint mir übrigens, daß der Computer wie der Ofen ein Ding ist, das den straft, der sich zu wenig um es kümmert.
Wenigstens hatten wir Kohlen, anders als die Vormieter eines Bekannten, die die Scheuerleisten und Innentüren der eigenen Wohnung verheizt hatten. Man kann sich auch Apfelsinenkisten und Holz von der Straße holen, wobei das bei den unsensibleren Allesbrennern besser funktioniert. Einen halben Achtziger-Jahre-Winter ging ich jeden Tag auf das brachliegende Gleisgelände an der Monumentenbrücke in Kreuzberg, um dort Holz zu holen. Manchmal lagen da auch alte, vergilbte Pornohefte, die mich melancholisch stimmten. Ich heizte sporadisch. Wenn sich erotische Möglichkeiten andeuteten, war die Wohnung warm. Wenn die erotischen Möglichkeiten sich weigerten, Wirklichkeit zu werden, ärgerte ich mich, daß ich die Wohnung völlig umsonst geheizt hatte. Mit drei übereinandergezogenen Pullovern, albernen Strumpfhosen unter der Jeans und mehreren Paar Socken saß ich die meiste Zeit an zwei Schreibtischen und fühlte mich existentialistisch. Der antibourgeois gemeinte Wärmeverzicht in der Hinterhofwohnung paßte ganz gut zum Philosophiestudium. Den Kachelöfen tat das Heizen mit Holz nicht so gut. Einer explodierte später mit dumpfem Knall und imposanter Rauchwolke. Neulich brannten im Hinterhof ein paar Mülltonnen, in die man keine heiße Asche füllen soll. Das sah auch gut aus.
Vermutlich war P. schuld, der vor ein paar Monaten hier einzog. P. ist Anfang Vierzig. In den Siebzigern hatte er sich für linksradikale Politik engagiert. Jetzt heizte er zum ersten Mal in seinem Leben mit Briketts und war furchtbar genervt. Schlechtgelaunt rechnete er mir vor, daß es tausendmal teurer sei, mit Briketts zu heizen, als mit Öl oder Gas. Wenn man nur von einem Stundenlohn von zehn Mark fürs Kohlenschleppen ausgehe, die Kosten für Seife und dreckige Hosen nicht mitgerechnet (!), würden die Kosten doch ins Unermeßliche steigen. Überhaupt seien Ofenheizungen ein „widerwärtiger Anachronismus“, eine „Beleidigung“ und „sinnlose Verschwendung“ der „Produktivkräfte“, die so schändlich an ihrer Entwicklung gehindert würden. Irgendwie war das lustig, denn P. kifft eigentlich den ganzen Tag nur und liest dabei Zeitung. Über manche Artikel denkt er tagelang nach, was ein schöner Zug ist. Sonst hört er gerne Songs von Bob Dylan und denkt viel über Ovid nach. Detlef Kuhlbrodt
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