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Bei Ankunft in Hamburg um Jahre gealtert

■ Jugendbehörde streicht Betreuungsplätze für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge

Die Rechnung geht auf. Die Ausländerbehörde erklärt jugendliche Flüchtlinge zu Erwachsenen (taz berichtete). In der Statistik tauchen immer weniger Minderjährige auf, und die Jugendbehörde kann sich ans Sparen machen: Bis zum 30. Juni dieses Jahres soll die Erstversorgungseinrichtung für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Billstedt mit ihren 80 Plätzen geschlossen werden, 60 weitere Plätze sollen folgen.

Einen Strich durch diese Rechnung wollen nun die Vereine machen, welche die Einrichtungen betreiben. Bei einem Spontanbesuch in der Jugendbehörde ließen sie gestern Schulsenatorin Rosemarie Raab (SPD) ausrichten, sie solle „die politische Verantwortung für nichtdeutsche Kinder und Jugendliche übernehmen“.

„Trotz der Einsparungen bieten wir immer noch eine angemessene Versorgung“, verteidigte die Leiterin des Amtes für Jugend, Vera Birtsch, die „Bedarfsanpassung“. Holger Griebner vom Verein „Jugendhilfe e.V.“hielt dagegen, daß „in Hamburg die Innenbehörde die Jugendpolitik macht, soweit es um Nichtdeutsche geht“. Die SachbearbeiterInnen der Ausländerbehörde, so Griebner, entschieden rein nach Augenschein über das Alter eines Flüchtlings. Fast routinemäßig würden alle für mindestens 16jährig erklärt. Die Folge: Sie werden nach einem Schlüssel aus Hamburg weg übers Bundesgebiet verteilt. Wer in der Hansestadt bleibt, wird als Erwachsener untergebracht – ohne Betreuung und Mehrkosten für die Stadt.

So sinkt die Zahl registrierter jugendlicher Flüchtlinge rapide. Tauchten in der Einreisestatistik bis Januar 1996 noch monatlich über 100 Minderjährige auf, sind es inzwischen nur noch rund 20. Die Zuwanderung habe indes nicht abgenommen, sagen die Trägervereine. Doch nahezu routinemäßig zweifle nun die Ausländerbehörde das angegebene Alter an. Dafür spricht die Statistik: Vor einem Jahr noch, so der Senat in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der SPD, wurde monatlich zwischen 30 und 40 Asylsuchenden Falschbeurkundung unterstellt. Ende 1997 waren es mehr als doppelt so viele.

Zwar sieht der rot-grüne Koalitionsvertrag vor, bei Zweifeln am angegebenen Alter eine ärztliche Untersuchung vorzunehmen. Doch zum einen ist das konkrete Verfahren dafür nicht geklärt. Zum anderen sind die Untersuchungen, vor allem das der Ausländerbehörde als verläßlich geltende Röntgen des Handwurzelknochens, umstritten. Die Ärztekammer Hamburg lehnte es im April 1995 ab, da es ungenau und eine „Körperverletzung“sei.

Die Betreuungseinrichtungen fordern deshalb, Alter und Betreuungsbedarf junger unbegleiteter Flüchtlinge von im Jugendbereich Tätigen feststellen zu lassen. Bislang war es möglich, einen Flüchtling zunächst dem Amt für soziale Dienste und erst dann der Ausländerbehörde vorzustellen. Seit wenigen Wochen jedoch kursiert im Bezirk Mitte eine Weisung, daß alle minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge erst zur Ausländerbehörde müssen – und diese über den Betreuungsbedarf entscheidet.

Elke Spanner

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