: Der Fluch der eigenen Geschichte
■ Serben wie Albaner reklamieren den Kosovo für sich: Ist Krieg die einzige Lösung, oder gibt es Chancen für eine friedliche Lösung
Im Kosovo habe der Krieg in Jugoslawien begonnen, im Kosovo wird er auch beendet werden. Diese Anfang der 90er Jahre gängige Meinung unter Intellektuellen des ehemaligen Jugoslawien scheint sich dieser Tage zu bestätigen. Der Kreislauf des Krieges könnte sich im Kosovo, in jener im Süden Serbiens liegenden Provinz, in der zwei Millionen Albaner rund 150.000 Serben gegenüberstehen, schließen.
Der Kampf um „Kosovo und Metohija“ ist, vom nationalistischen Standpunkt betrachtet, ein unlösbar erscheinender Konflikt. Für die serbische Geschichtsbetrachtung hat der Kampf auf dem „Amselfeld“ (Kosovo Polje), die (verlorene) Schlacht des serbischen Zaren Lazar gegen die Türken 1389, einen zentralen Stellenwert. Für das serbische Nationalbewußtsein ist der Kosovo die Wiege der Nation, wo nach der Völkerwanderung im 6. und 7. Jahrhundert das Herzland Serbiens begründet wurde.
Auch die albanische nationale Identität wird vom Kosovo beeinflußt. Während der über 500 Jahre währenden osmanischen Herrschaft war Kosovo und Metohija (letzteres ist die an Albanien angrenzende Region um Pec und Prizren) mit den anderen Siedlungsgebieten der Albaner, mit dem heutigen Albanien, den westlichen Gebieten Makedoniens und albanischen Siedlungsgebieten am südlichen Rand Montenegros verbunden. Die „Liga von Prizren“ begründete zudem am Ende des 19. Jahrhunderts das moderne albanische Nationalbewußtsein.
So stehen sich die nationalen Ansprüche gegenüber. Die serbische Seite argumentiert vor allem historisch, die albanische sowohl historisch als auch mit den heutigen Mehrheitsverhältnissen in der Bevölkerung. Die Serben erinnern an die Vertreibungen oder Fluchtbewegungen der serbischen Bevölkerung nach dem türkischen Sieg auf dem Amselfeld, nach den Aufständen von 1690 und im 20. Jahrhundert. Die Albaner erklären, daß sie schon vor den Serben hier lebten, daß das Kosovo immer mit den albanischen Siedlungsgebieten verbunden war und erst 1912, nach den Balkankriegen, zu Serbien geschlagen woren ist.
Im Osmanischen Reich hatte sich ein friedliches Miteinander der Bewohner herausgebildet. Spuren dieses Bewußtseins sind nach wie vor im Kosovo anzutreffen. Daß der Konflikt um den Kosovo nicht mit Rückgriffen auf die jeweilige Nationalgeschichte zu lösen ist, wußte auch der Staatsgründer des kommunistischen Jugoslawiens, Josip Broz, genannt Tito. Er beließ den Kosovo bei Serbien, billigte der Region in der Verfassung von 1974 aber Autonomie zu. Nur durch Toleranz und Respektierung der jeweiligen Ansprüche könnte der Konflikt entschärft und die Region zu einem Teil eines modernen Europas werden. Dies forderten Ende der achtziger Jahre demokratische Oppositionelle beider Seiten. Die jüngste Geschichte nahm einen anderen Verlauf.
Nachdem der damalige kommunistische Parteichef Serbiens, Slobodan Milošević, sich im Herbst 1987 entschlossen hatte, eine antialbanische Kampagne einzuleiten, in deren Verlauf der Autonomiestatus der Provinz Kosovo 1989 beseitigt und ein Apartheidsstaat eingeführt wurde, gewannen die nationalistischen Kategorien die Oberhand. Ein Symbol dafür waren schon die Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfeld. Die Grundfrage, was soll aus den Serben werden, wenn Jugoslawien zerfällt, wurde hier erstmals mit der Mobilisierung für den Krieg beantwortet.
Während des Krieges in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina hielt die albanische Bevölkerung gezwungenermaßen still. Sie hatte dem serbischen Militär nichts entgegenzusetzen. Die serbischen Nationalisten wollten ihrerseits eine zweite Front im Süden vermeiden, denn die Bodenschätze und andere Reichtümer des Kosovo waren und sind für die serbische Kriegsmaschinerie und die Wirtschaft wichtig. Erst mit dem Friedensabkommen von Dayton im Demzeber 1995 hat sich die Lage wieder verändert: der Mythos der Unbesiegbarkeit des serbischen Militärs ist durch die Niederlage in Kroatien und Bosnien gebrochen.
Seither regt sich mehr als nur passiver Widerstand. Die albanische Bevölkerung will die Unabhängigkeit. Für die serbischen Nationalisten dagegen wäre in diesem Falle der Traum eines großserbischen Reiches endgültig ausgeträumt. Für Kosovo werden aber nicht nur die Nationalisten, sondern die Mehrheit der serbischen Bevölkerung bereit sein, zu kämpfen. Der Kreislauf des Krieges könnte sich hier tatsächlich schließen.
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