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Blue Notes und „Blumentod“

■ „Die Entfesselte Droste“: Biedermeier-Poesie traf Modern Jazz

Die Mischung „Jazz & Lyrik“wirkt eher abschreckend. Schon zu viele ambitionierte Versuche in dieser Richtung scheiterten: Text und Musik laufen doch nur beliebig nebeneinander her, und der feingeistige Nimbus solcher Projekte macht die Konzerte dann vollends unerträglich. So kamen jetzt im Lagerhaus drei ZuhörerInnen auf jeden Musiker des Improvisationsprojekts „Die entfesselte Droste“. Und das war schade, denn der Komponist und Saxophonist Jan Klare hat einen wirklich spannenden Zugang zu den Gedichten von Annette von Droste-Hülshoff gefunden.

Dabei ist seine Grundidee so simpel, daß man sich fragt, warum nicht schon viel mehr Künstler diesen Ausweg gefunden haben: Die Texte werden nicht rezitiert, sondern gesungen, und so durchdringen sich Text und Musik viel organischer. Die Schauspielerin und Jazzvokalistin Christiane Hagedorn bringt die richtige Mischung aus Pathos und Swing in das Projekt, mit dem die Gedichte der Droste radikal entstaubt werden. Gedichte wie „Blumentod“und „Brennende Liebe“sang sie wie Bluesballaden, und in den Arrangements von Klare wurde der emotionale Sturm und Drang dieser Lyrik raffiniert verstärkt.

Andere Gedichte waren eher lyrische Dramen als biedermeierliche Poesie: In „Die Vergeltung“gab es neben einem hochdramatischen Schiffbruch eine Hinrichtungsszene am Galgen, und hier konnte Klare aus dem Fundus der Tongemälde und Filmmusiken schöpfen. Er verwandte keine Zitate, aber das gruselige Spiel mit der Stille und die Kakophonie beim Untergang sind gängige Tricks, die Klare geschickt einsetzte.

Das viele Notenpapier vor den Musikern war ein Beleg dafür, wieviel bei diesem „Improvisationsprojekt“durchkomponiert war. Der Ton war hier wichtiger als das einzelne Solo. So spielte der englische Keyboarder Dean Speedwell Broderick skurrile Soundcollagen auf E-Piano, Akkordeon, Klavier und Harmonica, der Posaunist Joost Buist erwies sich als Meister auf der gestopften und minimalistisch gespielten Posaune. Schlagzeuger Michael Vatcher und Bassist Wilbert de Joode waren eine zugleich kühl und expressionistisch spielende Rhythmusgruppe, und Jan Klare überzeugte am meisten durch seine tiefen Stimmungen auf dem Baritonsaxophon. Wilfried Hippen

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