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Vernehmungen mit Videokamera

■ Bundesrat beschließt Zeugenschutzgesetz. Videoaufzeichnungen von erster Aussage sollen in Hauptverhandlung gezeigt werden können

Was bei US-amerikanischer Polizei und Justiz seit den 80er Jahren gang und gäbe ist, soll jetzt auch bei bundesdeutschen KripobeamtInnen und StrafrichterInnen verstärkt in Gebrauch kommen: die Videotechnik. Gestern passierte das entsprechende Gesetz den Bundesrat.

Der sympathische, wenn auch nicht konsequent zu Ende geführte Grundgedanke dieses Gesetzes: Vernimmt die Kripo einen seelisch belasteten Zeugen, wird dessen Aussage per Videokamera aufgezeichnet. Im Prozeß soll die Videokassette vorgeführt werden und so eine erneute belastende Aussage überflüssig machen. Zudem könnte gerade bei Prozessen um Kindesmißbrauch anhand des Videomitschnittes der Erstvernehmung festgestellt werden, inwieweit eine suggestive Befragung bei der Aussage eine Rolle spielte.

Das Zeugenschutzgesetz kennt drei Anwendungsstufen der Videotechnik: die Erstvernehmung bei der Kripo, die richterliche Vernehmung vor dem Prozeß und im Prozeß selber. Bei der Erstvernehmung durch die Kripo soll die Videokamera künftig regelmäßig bei Zeugen unter 16 Jahren zum Einsatz kommen, sofern sie „durch die Straftat verletzt worden sind“. Ebenso soll die Videotechnik bei Zeugen aus dem Milieu der Organisierten Kriminalität zum Einsatz kommen. Allerdings soll in diesen Fällen das Videoband nicht ausreichen, um in der Hauptverhandlung eine erneute Vernehmung zu ersetzen. Karin Schubert, Justizministerin von Sachsen-Anhalt, sagt: „Um die Vernehmung vor dem Richter kommen wir nicht herum.“

Auch bei der richterlichen Vernehmung soll die Videotechnik eingesetzt werden, aber nicht nur die Videokamera, sondern auch die viel aufwendigere Video-Simultan-Übertragung. Denn möchte eine seelisch belastete Zeugin unter 16 beim Richter nicht in direkter räumlicher Anwesenheit des mutmaßlichen Täters und seines Verteidigers aussagen, soll der Richter die „Simultan-Technik“ anwenden. Er vernimmt die Zeugin in Raum A und überträgt diese Vernehmung auf eine Videoleinwand in Raum B, in dem Angeklagter und Verteidiger sitzen und eventuell per Telefon „mitwirken“ können. Diese komplizierte Regelung betrifft vor allem „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen das Leben“. Die Neuerung läßt jedoch außer acht, daß die Angst des Opfers vor der räumlichen Nähe des mutmaßlichen Täters sich durch die „Simultan-Technik“ nur mindern, aber nicht ausschalten läßt.

Eine vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebene Studie warnt jedoch davor, die in den USA erprobte Video-Simultan- Technik auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. Wenn es vor allem darum gehe, dem kindliche Opfer die Begegnung mit dem mutmaßlichen Täter vor Gericht zu ersparen, so solle in Deutschland doch an dem bewährten Verfahren festgehalten werden, den oder die Angeklagten zeitweise von der Verhandlung auszuschließen, anstatt das Kind in den Nebenraum vor die Videokamera zu verbannen.

Heftige Kritik an dem Zeugenschutzgesetz formuliert Dagmar Oberlies vom Deutschen Juristinnenbund: „Der gesamte Opferschutz erschöpft sich hier in einer technischen Spielerei.“ Oberlies moniert, das durch das Gesetz eine Verschlechterung eintritt. Bislang habe der Richter vor dem Prozeß eine ZeugIn ohne Beisein des Täters vernehmen können, nun sitze er im Nebenraum und könne die Aussage über Video beobachten. Andernfalls könne das Video im Gerichtsverfahren nicht als Ersatz für eine persönliche Zeugenaussage gewertet werden.

Einigen konnte man sich nicht darauf, Sicherheitsvorschriften zu erlassen, um die Videobänder unter Verschluß zu halten. Oberlies befürchtet, daß illegale Videokopien von Vernehmungen in Umlauf geraten könnten: „Wir wissen aus den USA, daß es dort einen Markt gibt für die Vernehmungsvideos von mißbrauchten Kindern.“ Barbara Debus

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