: Justizsenator packt ein heißes Eisen an
■ Nach zehn Jahren Ringen um die Vergabe von sterilen Spritzen im Knast wird jetzt erstmals ein Pilotprojekt in der Frauenhaftanstalt Lichtenberg gestartet. Im kleinen Männerknast Lehrter Straße gibt
Kaum ein Thema hat den Justizsenatoren in den vergangenen Jahren soviel Kopfzerbrechen bereitet wie die Spritzenvergabe in den Knästen. Die 1989 von der rot-grünen Koalition ins Rennen geschickte Jutta Limbach (SPD) faßte das heiße Eisen in ihrer fünfjährigen Amtszeit gar nicht erst an. Aber auch das Versprechen ihrer Nachfolgerin Lore Maria Peschel- Gutzeit (SPD), Ende 1996 ein Pilotprojekt zur Vergabe von sterilen Spritzen an drogenabhängige Gefangene starten zu wollen, blieb uneingelöst, als diese im November 1997 als Senatorin nach Hamburg verschwand.
Nun macht sich Ehrhart Körting (SPD) zögerlich daran, die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU zur Durchführung von Modellversuchen in die Tat umzusetzen. Vergangene Woche kündigte er im parlamentarischen Rechtsausschuß die Aufstellung von Spritzenautomaten im neuen Frauenknast Lichtenberg für Ende Mai, Anfang Juni an. In dem zur Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee gehörenden geschlossenen Männerknast Lehrter Straße soll laut Justizsenator Körting Mitte bis Ende des Jahres mit einem ähnlichen Versuch begonnen werden.
Zumindest was die Frauenhaftanstalt Lichtenberg angeht, sind die Vorbereitungen so weit gediehen, daß es für Körting kaum noch ein Zurück gibt. Nach Angaben des Referenten der Berliner Aids- Hilfe, Fredi Lang, hat die „Planungsphase“ für die Ausgabe steriler Spritzen an derzeit 35 drogenabhängige inhaftierte Frauen bereits konkret begonnen. Am vergangenen Mittwoch trafen sich Mitarbeiter der Aids-Hilfe erstmals mit Knast-Gruppenleitern und medinzinischem Personal. Bei dem Gespräch sei unter anderem festgelegt worden, an welcher Stelle die Häftlinge ihre Spritze künftig aufbewahren sollten, um Verletzungen des Personals bei Zellendurchsuchungen zu vermeiden. Beim morgigen Treffen werde besprochen, wo die Spritzenautomaten aufgehängt werden sollen.
In der Lehrter Straße sind die Planungen laut Justizsprecherin Svenja Schröder „noch nicht soweit“. In dem kleinen Knast mit 104 Haftplätzen, in dem bisher nur kurze Strafen und Ersatzfreiheitsstrafen verbüßt wurden, gibt es offenbar große Widerstände beim Personal. „Die Bediensteten haben sich zu 100 Prozent gegen die Vergabe ausgesprochen“, erklärt der Vorsitzende des Verbandes der Berliner Vollzugsbediensteten, Paul-Peter Bucco. Um mit dem Projekt beginnen zu können, müsse Körting in der Lehrter Straße nicht nur sämtliche Gefangenen „auswechseln“, sondern auch „alle Beamten“.
Während der Verband der Justizvollzugsbediensteten von jeher ein erbitterter Gegner der Spritzenvergabe ist, setzen sich die Grünen seit 1987 vehement dafür ein. Bei aller Kritik an der Verschleppungstaktik des Senats und der Auswahl der Versuchsobjekte hält der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Bernd Köppl, den Start in der Frauenhaftanstalt für einen „Durchbruch“. Köppl glaubt, daß es nun nicht mehr lange dauern wird, bis auch im größten Berliner Männerknast, Tegel, Spritzen im Rahmen der Gesundheitsprophylaxe zur Eindämmung von Hepatitis und HIV ausgegeben werden müssen. Schätzungen der Berliner Aids-Hilfe zufolge sind von den rund 1.600 Tegeler Insassen mindestens 800 drogenabhängig und mindestens die Hälfte davon HIV-positiv. „Bei Drogenabhängigen mit Hafterfahrung ist die HIV-Rate doppelt so hoch wie bei Drogenabhängigen ohne Hafterfahrung“, weiß Fredi Lang.
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Norbert Schellberg, findet es reichlich absurd, daß eigens für den Pilotversuch drogenabhängige Gefangene in die Lehrter Straße verlegt werden müssen: „Man muß nach Tegel, dort sind die Probleme.“ Schellbergs Rat: Sobald der Modellversuch begonnen habe, sollten die benachteiligten drogenabhängigen Tegeler Gefangenen gegen die Verweigerung der Spritzen klagen. Plutonia Plarre
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