: Bittere Pille für Pharmafirmen
■ Der mit schwarzen Balken versehene „Arzneiverordnungs-Report 1997“ darf nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf jetzt doch vollständig erscheinen. Keine Auftragsarbeit der AOK
Berlin (taz) – Die deutsche Pharma-Industrie hat eine empfindliche juristische Schlappe einstecken müssen. Im Streit um die Veröffentlichung des inkriminierten „Arzneiverordnungs-Reports 1997“ unterlagen die Pillendreher gestern vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen und der Stuttgarter Gustav Fischer Verlag behielten recht: Ihr Medikamenten- Führer darf jetzt doch unzensiert erscheinen. Bislang waren in dem arzneikritischen Druckwerk ein komplettes Kapitel, umfangreiche Textstellen, Grafiken und Autorennamen mit fetten Balken geschwärzt worden.
Der von dem Heidelberger Pharmakologen Ulrich Schwabe und dem wissenschaftlichen Leiter des Instituts der Ortskrankenkassen, Dieter Paffrath, herausgegebene Report war von insgesamt 17 Pharmafirmen auf dem Klageweg bekämpft worden. Er enthält eine detaillierte Auflistung aller nutzlosen Arzneimittel, die von den Herausgebern ausdrücklich als „für eine Therapie ungeeignet“ eingestuft werden. Den Placebos stellen die Autoren sinnvolle und wirksame Alternativen gegenüber. Die Hersteller sahen darin einen unzulässigen Boykottaufruf gegen bestimmte Arzneimittel und eine Manipulation des Marktes.
Die Liste hatte eine besondere Bedeutung bekommen, weil die kassenärztlichen Vereinigungen die niedergelassenen Ärzte auf diese Aufstellung hingewiesen und sie aufgefordert hatten, künftig keine sinnlosen, oft sündhaft teuren Medikamente mehr zu verschreiben.
In dem Düsseldorfer Verfahren ging es aber auch um die Freiheit der Wissenschaft. Die Pharmafirmen argumentierten, daß die beiden Herausgeber in ihren Bewertungen nicht objektiv seien, weil sie von den Krankenkassen Geld bekämen. Der Report sei „eine Auftragsarbeit der AOK“, hinter der „handfeste wirtschaftliche Interessen“ stehen würden. Der Vorsitzende Richter Wolfgang Jaeger wies diese Einschätzung zurück. Die wissenschaftliche Bewertung sei dadurch nicht in entscheidendem Maße beeinflußt worden. Die Autoren hätten ihre Beiträge eigenständig verfaßt. Jaeger gestand den Kassen das Recht zu, an solch einem Report mitzuwirken.
Der Streit um den Wirksamkeitsnachweis von Medikamenten schwelt schon lange. In der Bundesrepublik sind gegenwärtig etwa 44.000 Arzneimittel zugelassen. Exakt 16.627 von diesen Pillen und Pülverchen, also mehr als ein Drittel, haben nach amtlicher Auskunft des Bonner Gesundheitsministerium den Nachweis ihrer Wirksamkeit noch nicht erbracht. Dabei handelt es sich vor allem um alte Arzneimittel, die vor dem Inkrafttreten des neuen Arzneimittelrechts (1978) auf den Markt kamen. Damals waren den Herstellern überaus großzügige Übergangsregelungen zugestanden worden. Alt-Medikamente dürfen bis zum Jahr 2004 auf dem Markt bleiben – ohne Nachweis der Wirksamkeit. Inzwischen macht auch Brüssel deswegen Druck und fordert Nachzulassungsverfahren.
Die Krankenkassen sehen in dem Dunkelfeld dubioser Medikamente ein immenses Sparpotential von mehreren Milliarden Mark. Im vergangenen Jahr errechnete der Bundesverband der Betriebskrankenkassen, daß „für rund sieben Milliarden Mark Arzneimittel verordnet wurden, deren therapeutische Wirksamkeit nicht nachgewiesen“ ist. Insgesamt wurden 1997 für rund 32 Milliarden Mark Pillen, Salben und Tabletten in der Bundesrepublik verschrieben.
Der Rechtsstreit ist jedoch noch nicht zu Ende. Die Einstweiligen Verfügungen sind zwar aufgehoben, doch die Entscheidung im sogenannten Hauptsacheverfahren steht noch aus. Manfred Kriener
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