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Spekulationskeule im Armenhaus

220 Wohnungen in Hamburgs ärmstem Stadtteil Dulsberg von Umwandlung bedroht. Mieterverein fordert Milieuschutz von der Stadt  ■ Von Heike Haarhoff

Holger Karstaedt, Vorsitzender der SPD in Dulsberg, sieht die „Spekulationskeule“schon kreisen: 220 Mietwohnungen an der Ecke Krausestraße / Alter Teichweg sollen in Eigentumswohnungen verwandelt werden. Mit Schreiben vom 3. März informierte die Hamburger Theodor Schöne Immobilien GmbH, Verwalterin der backsteinroten Wohnanlage im Besitz der Firma „Tusculum“, die MieterInnen über die bevorstehende Umwandlung: „Wir werden mit dem Verkauf aller Voraussicht nach im Frühsommer dieses Jahres beginnen.“

Kaufinteressierte MieterInnen würden selbstverständlich vorrangig berücksichtigt, suchte das Unternehmen zu beschwichtigen, „aber“, klagt die 23jährige Nicole M. „keiner hier kann sich diese Löcher leisten“. „Panik“, sagt ihre Nachbarin Gudrun F., habe sie deswegen „noch nicht, aber man macht sich schon seine Gedanken“: Darüber, daß erneut in einem der ärmsten Hamburger Stadtteile preiswerter Wohnraum zerstört wird und die alteingesessenen BewohnerInnen vertrieben zu werden drohen. Davor jedenfalls warnte gestern abend Willi Lehmpfuhl vom Mieterverein zu Hamburg bei der Gründungsversammlung der protestierenden Dulsberger MieterInnen.

Die genießen nach der Umwandlung zwar gesetzlich zehn Jahre Wohnrecht, während denen ihnen nicht wegen Eigenbedarfs gekündigt werden darf. Zu ihrem besseren Schutz aber, so Lehmpfuhl, „werden wir alles daran setzen, auch nach dem Verkauf lebenslanges Wohnrecht auszuhandeln“. Doch davon will Peter Berger, Geschäftsführer der Schöne Immobilien, nichts wissen: „Das machen wir nie“, sagte er gestern zur taz.

Die Firma Tusculum „ist dafür bekannt, daß sie ziemlich vergammelte Wohnungen verkauft“, schimpft Lehmpfuhl, „und immer gab's Theater“. Erst jüngst an der Hummelsbütteler Landstraße (17 Wohnungen) habe sich der Mieterverein mit seiner Forderung auf lebenslanges Wohnrecht nicht durchsetzen können. Besonders ältere, verunsicherte MieterInnen würden häufig klein beigeben: „Es gibt Statistiken“, sagt Jürgen Fiedler vom Stadtteilbüro Dulsberg, „wonach die Hälfte der MieterInnen im ersten Jahr nach der Umwandlung umzieht“. Zu groß sei der Druck, zu hoch die Verunsicherung.

Die MieterInnen könnten die Wohnungen doch kaufen, hält Berger dagegen. Für „weit unter 3000 Mark“den Quadratmeter könnten die DulsbergerInnen, die statistisch über das hamburgweit geringste Durchschnittseinkommen verfügen, sich ihr Wohnrecht sichern.

Gudrun F. denkt derweil „nicht daran, wegzuziehen“. Alle rechtlichen Möglichkeiten will sie ausschöpfen. Dazu gehört auch die Forderung von Mieterverein und Stadtteilbüro, die Stadt möge Dulsberg unter Milieuschutz stellen. Damit könnte die Stadt Umwandlung und Spekulation gesetzlich noch verbieten. Ein Ortstermin mit der zuständigen Stadtentwicklungsbehörde ist für heute anberaumt.

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