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Die Metropole des Verbrechens und der Gewalt

■ „Räuber, Gauner und Diebe aller Couleur bevölkern die Stadt“ – schon im 19. Jahrhundert sorgte sich die Polizei der preußischen Hauptstadt um den moralischen Zustand der EinwohnerInnen

Berlin ist die Metropole des Verbrechens: „Räuber, Gauner und Diebe aller Couleur bevölkern die dunklen Winkel der Stadt und die unbehausten Gegenden des Umlands. Keine andere Stadt hat derart raffinierte Gauner wie Berlin.“ Endlich ist es bewiesen, historisch aufgearbeitet und mit Fakten unterlegt. Die Debatte um New Yorker Polizeiverhältnisse war nicht umsonst.

Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz sprechen der Gewerkschaft der Polizei aus dem Herzen. Zwar will es keiner so recht glauben, und die Statistiken stehen eindeutig dagegen. Polizeipräsident Hagen Saberschinsky beteuert es schon lange, selbst der Innensenator mußte nun einsehen, daß Berlin nicht das moderne Sodom und Gomorrha ist. Doch die Gewerkschaft der Polizei bleibt ihrer Auffassung treu und hält die deutsche Hauptstadt für die Metropole des Verbrechens und der Gewalt.

Und die beiden Autoren Boehncke und Sarkowicz führen den historischen Beweis: In ihrem Sammelband „Die Metropole des Verbrechens“ skizzieren sie liebevoll die Diebe: die „kessen“ und die „witschen“, das Leben des „Voigtländers“ in Berlin, dessen „hauptsächlichsten Nahrungsmittel in Branntwein, Kaffee, Brot, Kartoffeln und Schweineschmalz“ bestehen. Sie lassen Kommissare und Denker über die üblen Verhältnisse zu Wort kommen und schwelgen in den Erinnerungen an die Gebrüder Saß, das berühmteste Gaunerduo auf der Rennbahn im Grunewald.

Wie der Mordbrenner Horst und seine Geliebte Christiane Delitz sich brandschatzend durch die Berliner Häuser zündelten, läßt sich in den Berichten von Heinrich von Kleist und Heinrich Ludwig Hermann nachlesen. Sie zeigen, wie „die teuflische Bosheit des Horst und der Delitz allgemeinen Schrecken verbreitete“. Sie lassen „das Böse sowie das Gute erkennen, wozu ein Mensch fähig ist“.

Von Karl Masch, dem schrecklichen Räuber und Mordbrenner aus der Neumark, „mit seiner Schutzhöhle im Wald bei Pyritz“ erfährt man bei der Lektüre ebenso wie von der „weiblichen Seite des Verbrechens“. Die Kreuz- und Querzüge des Kriminalkommissars a.D. Ernst Engelbrecht ergänzen sich mit der Geschichte der Berliner Ringervereine, die sich gründeten, weil „schon die Vaganten der Straße und die Räuberbanden des 18. Jahrhunderts wußten, daß nur das gemeinsame Vorgehen den erhofften Erfolg brachte“. Und so sammelten sich in der „Deutschen Eiche“, der „Letzten Hoffnung“, im „Immertreu e.V.“ und der „Wilden 13“ die Schwerkriminellen „hinter der hehren Vereinsfassade mit Ehrennadel und Festivität“.

Doch auch die euphorische Begeisterung der beiden Autoren für den modernen Sündenpfuhl wird von den internationalen Verhältnissen gebremst. So zitieren sie aus der Analyse des „liberal gesonnenen“ ehemaligen Kriminalkommissars und königlich-preußischen Kammergerichtsreferendars C.W. Zimmermann aus dem Jahr 1847: „Ich glaube dargetan zu haben, daß, wenn Berlin auch rücksichtlich der Verbrecher noch nicht mit London, Paris, New York und Neapel in gleichem Verhältnis steht, man jenen vier Städten den nicht beneidenswerten Vorzug lassen muß.“ Dennoch glaubte der Referendar, in Berlin sei „das Proletariat in sehr bedenklichem Zunehmen begriffen, so daß die Erzeugnisse desselben, das Verbrechen und die Prostitution, sehr wucherlich emporschießen und daher jeden Menschen-Freund mit trüben Ahnungen erfüllen“.

Im Gegensatz zur Polizeigewerkschaft allerdings können sich Boehncke und Sarkowicz auch angesichts dieser historischen Analyse dazu durchringen, das Problem einer kriminalistischen Betrachtung zu unterziehen, statt es ausmerzen zu wollen: „Wir wollen das Interesse auf ein gesellschaftliches Phänomen lenken, das bisher nur am Rande wahrgenommen worden ist. Einen wissenschaftlichen Anspruch erheben wir nicht. Vielleicht aber werden Historiker und Sozialwissenschaftler durch diese Sammlung auf die Thematik aufmerksam. Diebe, Räuber, Betrüger und Zuhälter sind nun einmal Teil der Berliner Geschichte, auch wenn die Erinnerung an sie nur selten vergnüglich und oft bitter ist. Barbara Junge

Heiner Boehncke, Hans Sarkowicz: „Die Metropole des Verbrechens – Räuber und Gauner in Berlin und Brandenburg“. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1997, 39,80 DM

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