: Streit um Stahl zwischen Warschau und Brüssel
■ Mit der Diskussion um Einfuhrzölle für Stahl haben die Polen bereits einen Vorgeschmack auf die EU-Mitgliedschaft bekommen. Noch sind 70 Prozent der Bevölkerung für den Beitritt
Warschau (taz) – Ende März beginnen die Verhandlungen zwischen Brüssel und den ersten Beitrittskandidaten zur Europäischen Union. Ministerpräsident Jerzy Buzek, Außenminister Bronislaw Geremek und der vor kurzem ernannte Hauptunterhändler Jan Kulakowski sind bereit. Noch haben sie die Mehrheit der Gesellschaft hinter sich. Über 70 Prozent der Polen unterstützen den Beitrittswunsch der Regierung. Lediglich die Angst vor einem Verlust der gerade erst wiedergewonnen Souveränität läßt die Polen zögern. Einen ersten Vorgeschmack auf eventuelle negative Folgen des EU-Beitritts haben die Polen Anfang des Jahres bekommen: Auf Druck der EU mußte die polnische Regierung die Ostgrenzen des Landes stärker sichern und Einreisebeschränkungen für die östlichen Nachbarn einführen. Aufgrund des verschärften Ausländerrechts, das nun EU-Bestimmungen entspricht, brach der Grenzhandel ein. Die Basare meldeten über 30 Prozent Umsatzrückgang. Und mit den östlichen Nachbarn hat man sich auch noch verkracht.
Erste ungute Erfahrungen haben auch Molkereien mit der EU gemacht. Die polnische Milch, so stellten die Hygiene-Prüfer fest, entspreche nicht den Sauberkeitsanforderungen der Europäischen Union. Zwar waren Berichte über die „Maus im Joghurt“ leicht übertrieben, doch auch die Gegenreaktion, das Einfuhrverbot für angeblich BSE-verseuchte Gelatine, konnte das Image eines „sauberen Polen“ nicht aufpolieren.
Inzwischen ist dieses Problem zwar gelöst. Die polnischen Molkereien haben EU-Standard eingeführt, dafür liegen sich Warschau und Brüssel nun wegen des Stahls in den Haaren. Polen müsse den Einfuhrzoll von EU-Stahl auf drei Prozent senken, fordert Brüssel. Solange die EU nicht ihre Handelshemmnisse für polnische Produkte aufhebt, grollt es aus Warschau zurück, müssen wir uns das sehr genau und lange überlegen.
Für Ministerpräsident Buzek ist die Londoner Europa-Konferenz, auf der sich die Regierungschefs der 11 Beitrittskandidaten und der 15 Mitgliedsländer heute treffen, eine Gelegenheit, sich mit den Tschechen und Ungarn über ähnliche Probleme zu beraten. Die Gefahr, von Deutschland oder Frankreich für deren eigene Interessen gegeneinander ausgespielt zu werden, ist allen bewußt. Dagegen wollen sich die Neuen diplomatisch wappnen. Gabriele Lesser
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