: CDU-Filz oder Chaos in Behörde?
■ Bremerhavener CDU-Chef Wilhelms kaufte städtische Grundstücke / Prüfungsamt deckt eine Reihe von Unregelmäßigkeiten auf / Stadt spendierte neue Leitungen und Erschließungskosten
Nutzte J. Henry Wilhelms, Kreisvorsitzender der Bremerhavener CDU und ehemaliger Bürgerschaftsabgeordneter, seine politischen Kontakte, um geschäftliche Interessen durchzusetzen? Oder wurde er Nutznießer einer chaotischen Verwaltung und Wirtschaftsförderung? Eine Frage, die derzeit die Gemüter in Bremerhaven erregt. Das Rechnungsprüfungsamt hat jetzt einen vertraulichen Bericht vorgelegt, aus dem hervorgeht, daß beim Verkauf städtischer Grundstücke am Roten Sand in Bremerhaven eine Reihe von Fehlern und Verstößen gegen die Landeshaushaltsordnung begangen worden sind, von denen Wilhelms möglicherweise profitiert hat.
Vor seiner Berufung zum Geschäftsführer der „Bremerhavener Fischereihafen-Betriebs- und Entwicklungsgesellschaft“(FBEG) war er Geschäftsführer der Roter- Sand - Immobilien - Verwaltung GmbH. Als Geschäftsführer dieser Firma kaufte er im April 1997 für 2,5 Millionen Mark eine Fläche von 11.500 Quadratmetern am Roten Sand. Auf dem Gelände soll ein Edeka-Markt entstehen – und zwar, obwohl sich die Stadtverordnetenversammlung schon 1993 dafür ausgesprochen hatte, keinen Einzelhandel auf diesem Gebiet anzusiedeln.
Sieben Monate vor Abschluß des Kaufvertrages – im September 1996 – spricht sich Bürgermeister und Stadtkämmerer Burkhard Niederquell (CDU) plötzlich für die Ansiedlung von Einzelhandel am Roten Sand aus. Der Einzelhandelsverband und Industrie- und Handelskammer protestieren – ohne Erfolg. Kurz nach der Empfehlung des Bürgermeisters schickt die CDU ein Fax mit ihren Änderungswünschen zum Flächennutzungplan an den Bauausschuß. Die Änderungswünsche werden vom Bauausschuß und der Stadtverordnetenversammlung abge-segnet. Im Januar ist der Grundstücksverkauf Thema einer nichtöffentlichen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung. Die Verhandlungen mit der Roter-Sand-Immobilien GmbH seien so gut wie abgeschlossen, behauptet Bürgermeister Niederquell. Die Abgeordneten bekommen den Eindruck, daß Eile geboten sei. Tatsächlich vergehen bis zum Abschluß des Kaufvertrages noch zwei Monate. Zu diesem Zeitpunkt habe es keine „Eilbedürftigkeit“gegeben, kritisieren die Gutachter das Tempo des Verfahrens.
In der Tat werden im Eifer des Gefechts Fehler gemacht. Der Bauausschuß beschließt, das Gewerbegebiet am Roten Sand zu sanieren, und bewilligt 13,3 Millionen Mark. Baudezernent Holm schließt mit der Bremerhavener Projekt- und Finanzierungsgesellschaft daraufhin einen Kreditvertrag ab. Summe: 17,6 Millionen Mark. Die Differenz von 4,3 Millionen Mark soll für Regiekosten ausgegeben werden. „Es ist unverständlich, daß eine solch' gravierende Veränderung der Kosten dem Bauausschuß nicht erneut zur Entscheidung vorgelegt wurde“, schreiben die Gutachter. Regiekosten wurden ihren Recherchen zufolge nicht gezahlt. Ihr Fazit: „Die Regiekosten hatten und haben somit offensichtlich den ausschließlichen Zweck, für eine von den politischen Gremien in Unkenntnis genehmigte freie Finanzierungsmasse zu sorgen.“
Bei ihren Recherchen stoßen die Prüfer auf weitere Verfahrensfehler: Die Grundstücke werden vor dem Verkauf nicht geschätzt. Auch wenn das Rechnungsprüfungsamt nicht davon ausgeht, daß die Stadt das Gelände unter Preis verkauft hat, ist das ein Verstoß gegen die Landeshaushaltsordnung. Außerdem muß bei einem Grundstückspreis von über zwei Millionen die Genehmigung des Senats eingeholt werden. Die Genehmigung fehlt. Eine Fläche von 120 Quadratmetern wird verkauft, ohne daß sich irgendein Gremium damit befaßt hätte, ebenfalls ein Verstoß gegen die Landeshaushaltsordnung.
Darüber hinaus birgt der Kaufvertrag eine Reihe von Bedingungen, die nicht nur bei den Rechnungsprüfern Kopfschütteln hervorgerufen haben. Das Gelände war bereits erschlossen, Gas-, Strom-, Wasser- und Telefonleitungen waren verlegt worden. Als Edeka die Pläne für den Bau des Supermarktes änderte, störten sie Leitungen. Sie hätten überbaut werden müssen und sollten deshalb neu verlegt werden. Die Kosten für die Neuverlegung der Leitungen von mindestens 320.000 Mark übernimmt die Stadt – warum, ist den Rechnungsprüfern ein Rätsel. Außerdem hätte die Stadt auf die Erschließungskosten verzichtet, monieren die Prüfer. Die Höhe der Verluste für die Stadt könne noch nicht beziffert werden.
Die CDU habe die Interessen von J. Henry Wilhelms mit einer „Dreistigkeit“durchgesetzt, die ihresgleichen suche, schimpft SPD-Fraktionschef Jörg Schulz. Die SPD versuche, „kübelweise Schmutz über einen Mitbürger auszuschütten“, entgegnet CDU-Fraktionsvorsitzender Paul Bödeker. J. Henry Wilhelms sieht sich als Opfer einer „bodenlosen Schmutzkampagne“. „Dann darf kein Kaufmann mehr in die Politik gehen, wenn man ihm seine Verbindungen vorhält.“Er habe weder Insiderwissen genutzt noch seine politischen Freunde beeinflußt, versichert er. Allerdings: „Daß die Absprachen bei den Ämtern alles andere als ideal waren , sieht auch er ein. „Aber dafür kann ich ja nichts.“Baustadtrat Holm gibt keine Stellungnahme ab. Bürgermeister und Stadtkämmerer Niederquell, der u.a. für die Verstöße gegen die Landeshaushaltsordnung verantwortlich ist, versteht die Empörung der SPD nicht. „Das sind alles Formfehler. Es gibt so viele Vorschriften, da kann man schon mal eine übersehen“, sagt er. Er verdankt der CDU seinen Job. Als die Grünen im März seine Abwahl forderten, retteten CDU und DVU seinen Kopf. Niederquell trat in die CDU ein. Die SPD vermutet deshalb „Duchstecherei“. „Völlig absurd“, widerspricht Niederquell. „Sie können mir vielleicht vorwerfen, daß ich manchmal ein bißchen blauäugig bin, aber nicht, daß ich böswillig wäre.“ kes
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