: Ist die taz käuflich?
■ Seit Wochen diskutiert die taz über Anzeigen. "Sind wirklich alle Geschäfte machbar?" haben wir die GenossInnen gefragt. Fast 300 haben geantwortet
#GenossenschaftSonnabend/Sonntag, 14./15. März 1998
Ist die taz käuflich? Seit Wochen diskutiert die taz über Anzeigen. „Sind wirklich alle Geschäfte machbar?“ haben wir die GenossInnen gefragt. Fast 300 haben geantwortet
„Rühe: Liebe Linke, kommt zum Bund“ titelte die taz Anfang Januar spöttelnd und berichtete über den Plan des Verteidigungsministers, mit Image-Anzeigen künftig auch in linken Medien wie taz und Vorwärts Soldaten anzuwerben. Nur wenn sich die Linken nicht weiter verweigern, so Rühes Argument, könne die Bundeswehr ein ausgewogenes Spiegelbild der Gesellschaft sein.
Seit Jahren bemüht sich der Verlag, Anzeigenkunden für die taz zu interessieren. Aber wir wären sicher nie auf die Idee gekommen, uns um den Werbeetat der Hardthöhe zu bemühen. Daß die Bundeswehr die taz nun ihrerseits als geeignetes Medium zur Imagewerbung entdeckt hat, hat unser Selbstverständnis berührt:
Einerseits ist der Auftrag die letzte Konsequenz jahrelanger Bemühungen, die taz auf dem Anzeigenmarkt zu etablieren. Schon in den letzten Jahren gab es neben vielen anderen auch gelegentlich Anzeigen, die bei unseren LeserInnen Irritationen hervorgerufen haben, z.B. von Shell oder Benetton. Am 16. Januar erschien in der taz eine Image-Anzeige der chemischen Industrie zum Thema Gentechnologie. Auch auf diese Anzeige reagierten etliche LeserInnen ablehnend, einige kündigten sogar ihr Abo.
Andererseits wirft die Bundeswehr- Anzeige eine neue Diskussion auf: Die taz hat sich in ihren Statuten dazu verpflichtet, keine sexistischen, rassistischen und militaristischen Anzeigen zu veröffentlichen. Aber: Ist damit der Auftraggeber oder das Motiv gemeint? Konkret: Darf die Bundeswehr, eindeutig eine militärische Organisation, mit einem harmlosen Motiv Werbung für sich machen?
Die Diskussionen im Haus waren noch nicht beendet, da stand schon ein neuer Kunde vor der Tür: der Informationsdienst der Atomwirtschaft, IZE. Ausgerechnet parallel zum Castor-Transport nach Ahaus will die Atomwirtschaft gut Wetter in der taz machen: „Castor“, so heißt es in ihrer Anzeige, „ist nur ein anderes Wort für Demokratie.“ Die Gründung der taz ist verbunden mit den Kämpfen gegen AKWs. Viele, die in den kommenden Wochen wieder an der Castor-Strecke demonstrieren, werden es als Provokation empfinden, neben der kritischen redaktionellen Berichterstattung auch eine verständnisheischende Annonce lesen zu müssen. Muß die taz da „Nein!“ sagen? Die Statuten schweigen hier. An einen solchen Kunden hatte bei der Gründung der taz nun wirklich niemand gedacht.
Die taz muß sich entscheiden, wie sie sich zu Imagewerbung der politischen Gegner stellen will. Müssen die Grenzen neu definiert werden? Reichen die Kriterien, nach denen bisher entschieden wurde, aus? Und wer soll bestimmen, was geht und was nicht?
Oder andersherum gefragt: Was bedeutet künftig der Satz „Im Vergleich zu uns sind alle andern gleich“. Schon vor langem haben wir uns entschieden, daß sich die taz von den anderen überregionalen Tageszeitungen nicht durch ihre Anzeigenpolitik unterscheidet. Die taz ist eine Alternative aufgrund ihrer redaktionellen Berichterstattung.
Die MitarbeiterInnen haben in den letzten Wochen heftig diskutiert und gestritten. 70 von 160 sprachen sich spontan in einer Unterschriftenliste gegen die zur Debatte stehenden Image-Anzeigen aus. Das Entscheidungsgremium der taz (der Vorstand) hat sich nach mehreren Sitzungen mehrheitlich für den Abdruck der Anzeigen entschieden. Der Aufsichtsrat der taz- Genossenschaft steht dem Abdruck der Anzeigen kritisch gegenüber.
Heute findet in der taz eine außerordentliche MitarbeiterInnenversammlung statt. In der Hoffnung, eine Entscheidung zu finden, die von der Mehrzahl der MitarbeiterInnen getragen werden kann.
„Die taz ist in der Hand ihrer LeserInnen“, wirbt die taz. Wir wollten deshalb nicht nur unter uns diskutieren. Wir haben 3.721 Mitglieder der taz-Genossenschaft angeschrieben, um sie in unsere Diskussion mit einzubeziehen. Dem Anschreiben lag ein Statement der Vorstandsmitglieder (Andreas Bull, Kalle Ruch und Gerd Nowakowski) bei und eine Entgegnung der Aufsichtsrätin Babro Dreher. Innerhalb von drei Tagen bekamen wir 274 Rückmeldungen, 140 GenossInnen befürworten das Erscheinen der Anzeigen, 104 Mitglieder sind gegen den Abdruck, einige sagen ja zur Bundeswehr-Anzeige und nein zur Castor-Anzeige. Oder umgekehrt.
Niemand macht es sich leicht. Auch unsere LeserInnen nehmen regen Anteil an diesem Diskussionsprozeß, wie wir an den vielen Zuschriften der letzten Wochen gemerkt haben. Deshalb veröffentlichen wir hier auszugsweise Statements von GenossInnen, die in vielen Facetten die Argumente der MitarbeiterInnen und sicher auch vieler LeserInnen wiedergeben.
Eines ist heute schon klargeworden: Es gibt keine einfachen Lösungen. Ohne mehr Anzeigen kommt die taz nicht weiter. Ohne die aktive Unterstützung unserer GenossInnen geht es aber auch nicht. Wir bleiben dabei: Das größte Kapital der taz ist und bleibt ihre aktive und solidarische Leserschaft. Und einem hoffentlich immer stärkeren Anzeigengeschäft muß immer eine starke Genossenschaft gegenüberstehen, die unsere Unabhängigkeit sichert. Konny Gellenbeck
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