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Nur begrenzte Amnestie in Süd-Korea

Konservative Kräfte in der neuen südkoreanischen Regierung verhindern eine weitreichende Amnestie von politischen Gefangenen. Verkehrssünder und Ladendiebe werden dagegen mit großer Nachsicht behandelt  ■ Von André Kunz

Tokio (taz) —Eine Amnestie für Vergehen und Straftaten gehört in Süd-Korea zu den traditionellen Amtshandlungen eines neuen Präsidenten. Nachdem mit Kim Dae Jung in Seoul erstmals ein Oppositionspolitiker und ehemaliger politischer Gefangener die Führung übernommen hat, waren die Erwartungen hoch. 5,5 Millionen Menschen sollen nun in den Genuß der gestern angekündigten Straffreiheit oder einer Minderung ihrer Haftzeiten kommen. Aufatmen können Verkehrssünder und Ladendiebe. Ihre Strafzettel wandern in den Papierkorb. Doch für die politischen Gefangenen in Süd- Korea ändert sich nur sehr wenig.

Was der neue Justizminister Park Sang-cheon als „die größte Amnestie seit der Gründung der Republik“ ankündigte, ist für die Menschenrechtsorganisationen in Süd-Korea eine große Enttäuschung. Insgesamt sollen 2.304 Häftlinge entlassen werden. Doch darunter sind nur 74, die wegen ihrer Gesinnung inhaftiert waren. Von der Liste mit 144 politischen Gefangenen, die amnesty international und die wichtigste südkoreanische Menschenrechtsorganisation Minkahyup eingereicht hatten, sind nur gerade 22 Leute entlassen worden. „Wir sind zutiefst enttäuscht“, sagte gestern Lim Ki- ran, die Vizevorsitzende von Minkahyup. Das sei viel weniger als der Vorgänger von Kim Dae Jung entlassen hatte. 1993 amnestierte Kim Young-sam immerhin 144 politische Gefangene.

Ursache für die halbherzige Amnestie Kim Dae Jungs ist nach Ansicht der Menschenrechtsorganisationen die Zusammensetzung der neuen Regierung. Um überhaupt an die Macht zu kommen, hatte Kim Dae Jung und seine Partei „Nationaler Kongreß für neue Politik" eine Koalition mit den konservativen „Vereinigten Liberalen“ geschlossen. Ihr Führer, der ehemalige Geheimdienstchef und jetzige amtierende Premierminister Kim Jong Pil sowie andere Parteipolitiker, die früher eng mit den Militärregimes zusammengearbeitet hatten, sind gegen eine Amnestie „prokommunistischer“ Gefangener.

Nach Angaben von amnesty international und Minkahyup sitzen in Süd-Korea noch mehr als 400 Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung hinter Gittern. Als einzige prominente Dissidenten sind die Schriftsteller Hwang Suk- young und Kim Ha-ki sowie der ehemalige Parlamentarier Suh Kyung-won begnadigt worden. Sie hatten ohne vorherige Einwilligung Seouls Regierung Nord-Korea besucht, was nach den südkoreanischen Gesetzen bis heute mit mehrjähriger Haft bestraft wird.

Nicht amnestiert worden ist auch der 69jährige Woo Yong-gak, der seit 39 Jahren und sieben Monaten in Isolationshaft gehalten wird. Der ehemalige nordkoreanische Kommandoführer und Spion hat sich bislang geweigert, dem Kommunismus abzuschwören. In Süd-Korea herrscht bezüglich sozialistischer Ideen immer noch eine Stimmung wie im Kalten Krieg. Deshalb ist es auch für Kim Dae Jung, der selbst zwei Jahre als politischer Häftling eingekerkert war, so schwer, solche Leute zu entlassen. „Ein solcher Schritt würde die Bevölkerung nur unnötig verunsichern“, sagt eine enger Berater von Kim. Im Unterschied dazu waren die beiden Exgeneräle und früheren Präsidenten Roh Ta Woe und Chun Doo Hwan bereits wenige Tage nach dem Wahlsieg Kims im Dezember amnestiert worden. Sie waren ursprünglich wegen der Niederschlagung des Aufstands von Kwangju 1980 und der Unterschlagung öffentlicher Mittel zum Tod verurteilt worden.

Hinter Gittern bleibt der Sohn des ehemaligen Präsidenten Kim Young-sam und andere prominente Manager. Sie waren in den Konkursskandal um den Hanbo- Konzern verwickelt. Diese Wirtschaftsdelinquenten werden in der südkoreanischen Bevölkerung veranwortlich gemacht für den Fall in die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise.

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