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Wieviel Provokation denn noch?

Neonazi-Aufmarsch in Lübeck fand unter Polizeischutz statt, für linke GegendemonstrantInnen gab's Polizeigewahrsam  ■ Von Sven-Michael Veit

Die Polizei war zufrieden, die Nazis waren es auch. Sonst wußte niemand Positives zu berichten über das, was sich in Lübeck am Sonnabend ereignete. Mit einem Großaufgebot von rund 1000 Beamten ermöglichte die Polizei einen Aufzug von 300 bis 400 Neonazis, die zu einer Kundgebung des rechtsextremen „Bündnis Rechts für Lübeck“in die Hansestadt gekommen waren. Über 300 Gegendemonstranten wurden vorübergehend festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt.

Der Lübecker Polizeichef Heiko Hüttmann wertete den Großeinsatz als „erfolgreich“. Es sei gelungen, rechte und linke Demonstranten „auseinanderzuhalten“. Alle vorübergehend Festgenommenen gehörten „zur linken und autonomen Szene“, der eine „deutlich spürbare Gewaltbereitschaft“zu attestieren sei. Das „Bündnis Rechts für Lübeck“verhehlte gestern seine Freude über den Polizeischutz nicht. Die „disziplinierte und friedliche Demonstration“sei ein „wichtiger politischer Erfolg“, lobte der führende Hamburger Neonazi Thomas Wulff.

Zunächst hatten am Vormittag rund 700 Menschen auf dem Lübecker Markt an der gemeinsamen Kundgebung von SPD und „Bündnis gegen Rassismus“teilgenommen. Die Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Ute Erdsiek-Rave, konstatierte , für rechtsextreme Gruppen sei „kein Platz in unserer Gesellschaft“; die grüne Bundestagsabgeordnete Angelika Beer aus Neumünster forderte ein Verbot „der braunen Pest“.

Der Aufzug der Neonazis verlief – unter Polizeischutz – derweil ohne besondere Zwischenfälle. Das vom Verfassungsschutz als „rechtsextremistische Aktionsgemeinschaft“eingestufte „Bündnis Rechts“tritt am 22. März in Lübeck zur Kommunalwahl an. Neben dem lokalen Spitzenkandidaten Dieter Kern vergriffen sich berüchtigte Hamburger Neonazi-Kader wie Christian Worch und der ehemalige schleswig-holsteinische DVU-Landtagsabgeordnete Ingo Stawitz am Wort.

Zu Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und linken Gegendemonstranten kam es am Nachmittag, als letztere mit Sitzblockaden und Menschenketten versuchten, den Versammlungsplatz der Neonazis vor deren Eintreffen zu besetzen. Nach Angaben aus antifaschistischen Gruppen wurden „alle zwischen 16 und 30, die sich in der Nähe der geplanten Marschroute der Nazis befanden, kurzerhand festgenommen“. Rund 300 Menschen seien mit Bussen zum Polizeipräsidium gefahren worden, wo sie „bis zum späten Abend in ungeheizten Garagen und eigens aufgestellten Baucontainern“festgehalten worden seien. Als einige der Verhafteten um warme Getränke baten, habe ein Beamter Tränengas in deren Raum gesprüht.

Die grüne Bundestagsabgeordnete Angelika Beer kritisierte gestern das Vorgehen der Polizei. Sie sprach von einem „wahllosen Knüppeleinsatz“gegen gewaltfreie Sitzblockierer, der in einem „rot-grün regierten Land wie Schleswig-Holstein nicht zu ertragen“sei. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, forderte ein Verbot rechtsextremer Demonstrationen, „wenn sie bewußt darauf angelegt sind, zu provozieren“. Die Frage sei für ihn, „wieviel Provokation sich der Staat denn noch gefallen lassen“wolle.

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