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Gefangene Revolutionäre in der Spandauer Zitadelle

■ Serie: Orte der Revolution (Folge 10): Am Morgen des 19. März wurden zahlreiche Barrikadenkämpfer ins Spandauer Gefängnis gebracht – und tags darauf wieder freigelassen

Während des Barrikadenkampfes 1848 waren viele Bürger und Arbeiter in die Hände des Militärs gefallen. Wenn sie nicht umgebracht wurden – Quellen sprechen davon, daß die Mehrzahl der fast 200 unmittelbaren Opfer nicht im Kampf umgekommen sind –, wurden sie schrecklich mißhandelt und am Morgen des 19.März in einem langen Gefangenenzug, der durch das Brandenburger Tor führte, nach Spandau gebracht.

Adolf Streckfuß berichtete: „In Spandau wurden die Gefangenen in die Kasematten geführt und dort einquartiert. In den mit Ziegelsteinen gepflasterten Raum wurde nicht einmal Stroh gebracht, damit die zu Tode Erschöpften etwas ausruhen könnten, zudem herrschte eine eisige Kälte, so daß sie sich in Haufen zusammendrängen mußten, um nur etwas erwärmt zu werden.

Die Kälte hörte freilich bald genug auf, denn mehr als 500 Menschen erwärmten den engen Raum schnell, dafür trat aber eine andere, für die Unglücklichen noch viel peinlichere Qual ein. Durch die Ausdünstungen so vieler eng beieinander liegender Menschen wurde die Luft verpestet und das Atemholen beschwerlich. Es kam endlich dahin, daß der Platz an der Türe, wo man, mit dem Mund an des Schlüsselloch gelegt, etwas frische Luft einsaugen konnte, ein beneidenswerter wurde, die nächst der Tür liegenden wechselten mit diesem herrlichen Platze.

Gegen 12 Uhr wurde Kommißbrot unter die Gefangenen verteilt, welche vor Hunger und Durst ganz erschöpft waren, und mit wahrer Begierde fielen alle über die grobe, ungewohnte Speise her. Auch ein Eimer Wasser wurde herumgereicht, damit einer nach dem andern aus demselben seinen Durst löschen könne.

Man trank, und mit welcher Begierde! In jenem Augenblicke kümmerte sich niemand darum, daß soeben ein an der Stirn Verwundeter aus dem Eimer getrunken hatte und daß das Blut aus der offenen Wunde in das Wasser geflossen war. Der Durst kennt keinen Ekel.

So wurde es wieder Abend, denn schon um drei Uhr nachmittags trat die Nacht in jenem Gefängnise ein, da öffnete sich plötzlich die Tür, und in kleinen Trupps zu zehn Mann wurden die Gefangenen einzeln herausgelassen; immer nach einer Pause von etwa zehn Minuten öffnete man wieder die Tür für neue zehn Mann, und die Zurückbleibenden wußten nicht, was aus den Fortgeführten wurde.

Den kleinen Trupps, welche man herausgeführt hatte, kündigte zu ihrem höchsten Staunen, denn es wußte ja keiner von ihnen, was in Berlin während dieser Zeit vorgegangen war, ein Offizier der Besetzung ihre Befreiung an, indem er sagte: der König wolle sie begnadigen, weil er davon überzeugt sei, daß die meisten unter ihnen nur verführt oder ganz unschuldig wären...

So wurde es denn Nacht, ehe die Gefangenen, welche ihre müden Glieder kaum fortzuschleppen vermochten, nach Berlin kamen und zu ihrer unendlichen Freude die Nachricht von dem Siege vernahmen, welchen das Volk von Berlin in der vorigen Nacht erkämpft hatte, von dem Siege, dem allein sie ihre Befreiung verdankten.“ Jürgen Karwelat

Adolf Streckfuß: „1848 – Die März- Revolution in Berlin. Ein Augenzeuge erzählt“. Herausgegeben von Horst Denkler. Köln 1983, S. 149f

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