: Nur ein toter Moro ist ein guter Moro
Zwanzig Jahre nach der Entführung des prominenten italienischen Christdemokraten durch die Roten Brigaden sind die politischen Hintergründe seiner Ermordung weiter ungeklärt – und sie werden es bleiben ■ Aus Rom Werner Raith
In seinen letzten Tagen sah der Todeskandidat eine Vision: „Ich sterbe“, schrieb er aus dem „Volksgefängnis“ an seine Democrazia Cristiana (DC), „wenn es meine Partei so beschließt... Dieses Blutbad wird weder Zaccagnini (dem Parteisekretär der Christdemokraten) noch Andreotti (damals Regierungschef), noch der Democrazia Cristiana, noch dem Land gut bekommen.“
Aldo Moro behielt recht. Bis heute, zwanzig Jahre nach der spektakulären Entführung des fünfmaligen Ministerpräsidenten durch ein Kommando der Roten Brigaden und seiner 55 Tage danach erfolgten Ermordung, hat Italien den Fall noch immer nicht verwunden.
Moro war 1978, im Jahr nach der Entführung und Ermordung des deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, wie dieser auf offener Straße entführt und seine fünfköpfige Eskorte getötet worden. Wie in Deutschland erwiesen sich die Behörden in Italien als völlig unfähig, die Verstecke der Rotbrigadisten und das „Volksgefängnis“ zu orten. Was aber in Deutschland noch einigermaßen als Fahndungspannen gedeutet werden konnte, wuchs sich in Italien nach der Ermordung Moros zur Frage aus, ob die Verantwortlichen den Politiker denn überhaupt hatten befreien wollen. Bis heute ist eine große Mehrheit der Italiener davon überzeugt, daß man Moro eiskalt hat umkommen lassen. Das gilt nicht nur für die damaligen Regierungsmitglieder, allen voran die Christdemokraten, sondern auch für die Kommunisten – sie hatten mit Moro den „Historischen Kompromiß“ ausgehandelt, der eine Zusammenarbeit von Katholiken und Kommunisten vorsah und der just am Entführungstag in einer „Regierung der nationalen Solidarität“, also einer großen Koalition, hätte abgesegnet werden sollen. Um sich nicht dem Vorwurf einer Nachgiebigkeit den Linksterroristen gegenüber auszusetzen, zeigten sich die Chefs der KP als besonders harte Gegner von Verhandlungen mit den Roten Brigaden. Weshalb die kommunistische Linke stets wenig Neigung gezeigt hat, sich an einer restlosen Aufklärung des Falles zu beteiligen. So wieder einmal geschehen im Februar: Da fanden sich im Innenministerium Kopien eines umfangreichen Planes namens „Paters“, was für „Piano antiterrorismo“ steht und in dem eine detaillierte Strategie für den Fall von Entführungen ausgearbeitet war. Der Plan wurde nie in die Tat umgesetzt, und kurz nach dem Tod Moros verfügte das Amt des Ministerpräsidenten die Vernichtung des „Paters“ – mit der Order, zu behaupten, man finde ihn einfach nicht mehr. Doch statt diesen Fund – die Kopien waren offenbar bei der Vernichtung vergessen worden – sofort weiter untersuchen zu lassen, versuchte Innenminister Giorgio Napolitano (vordem hochrangiger KP-Führer), die Kopien schnell wieder wegzuschließen. Zäh hält sich seither der Verdacht, die mittlerweile bekanntgegebene Version sei vorher „gereinigt“ worden – etwa von den Namen von in die Roten Brigaden infiltrierten Polizeispitzeln.
Dennoch: Mit den Jahren wird die Aufregung der Italiener über solche Enthüllungen doch leiser. Das hat auch damit zu tun, daß die meisten der damals Verantwortlichen entweder verstorben sind oder heute kein wichtiges Amt mehr bekleiden oder, wie der wegen Mafia-Kungelei angeklagte Andreotti, gar massive Prozesse am Hals haben. Selbst die damals entscheidenden Parteien sind inzwischen längst aufgelöst oder zerfallen, wie die DC und die KP.
So bleibt denn gerade noch einer Schar von Randfiguren die Aufgabe überlassen, ein paar Nachträge zu liefern, die dann spektakulär auf- oder nachbereitet werden. So etwa hat die als „Gefängniswärterin“ Moros zu „lebenslänglich“ verurteilte Laura Braghetti eben in einem Buch namens „Il prigioniero“ (Der Gefangene) ein paar Details über Moros menschliche Würde zum besten gegeben – aus der Schlüsselloch- Perspektive, denn Frau Braghetti war selbst nie im Verlies Moros. Den Spiegel hat das immerhin zu einem verzückten Interview mit ihr veranlaßt.
Mario Moretti, der als Chef der Römischen Kolonne der Roten Brigade fungierte und laut Gericht auch den Mordbefehl gab, ist mittlerweile Freigänger – aber er zeigt nicht die geringste Lust zu erzählen, wer ihm seinerzeit im Südlibanon die Wagenladungen voller Waffen für die Brigaden übergeben hat. Je mehr Zeit vergeht, um so weniger Hoffnung bleibt, daß Italien doch noch einmal erfahren wird, wer hinter alledem stand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen