: Brčko-Entscheidung verschoben
Nach dem Willen der Schiedskommission bleibt die umstrittene Stadt weiter unter internationaler Aufsicht. Ihr Status entscheidet über die Zukunft Bosniens ■ Von Erich Rathfelder
Sarajevo (taz) – Die zwischen Serben und Muslimen umstrittene ostbosnische Stadt Brčko bleibt bis Ende 1998 unter internationaler Kontrolle. Dies entschied gestern die Schiedskommission unter der Leitung des US-Amerikaners Robert Owen in New York. Damit ist die Entscheidung über den entgültigen Status der Stadt wieder aufgeschoben worden. Eine klares Votum zugunsten einer Seite, so diplomatische Quellen aus Sarajevo, wäre „zu diesem Zeitpunkt nicht opportun gewesen.“
Noch immer ist die Stadt, deren Zukunft im Abkommen von Dayton nicht entschieden worden war, von ausschlaggebender strategischer Wichtigkeit. Hier entscheidet sich, ob Bosnien-Herzegowina zu einem einheitlichen Staat wiedervereinigt werden kann ober ob die von den serbischen und kroatischen Präsidenten Slobodan Milošević und Franjo Tudjman betriebene Politik der Aufteilung Bosnien-Herzegowinas doch noch Aussichten auf Erfolg hat.
Am Freitag forderten Zehntausende von Menschen in Sarajevo von der Schiedskommission eine Entscheidung zugunsten der bosniakisch-kroatischen Föderation. In Banja Luka dagegen drohte der neue Premierminister der serbisch-bosnischen Republik, Milorad Dodik, den Rücktritt seiner Regierung an, falls die Entscheidung gegen die Interessen der Republika Srpska ausfallen sollte.
Die einstmals mehrheitlich muslimisch-kroatische Stadt wurde im Frühjahr 1992 von serbischen Truppen mit dem Ziel erobert, einen Korridor zwischen den serbisch eroberten Gebieten Westbosniens und Kroatiens und den von Serben kontrollierten Gebieten Ostbosniens und Serbiens zu schaffen. Würde Brčko an die Föderation fallen, wäre die Republika Srpska in zwei Teile zerschnitten und jegliche Träume serbischer Nationalisten, die serbischen Gebiete Bosniens mit Serbien zu vereinen, zerstört.
Angesichts der strategischen Bedeutung wurde der Status der Stadt auch internationaler Zankapfel. Vor allem Rußland und Frankreich votierten dafür, Brčko unter serbischer Kontrolle zu belassen. Dagegen tendiert die USA dazu, Brčko der Föderation zuzuschlagen.
Ein Kompromiß könnte sein, daß Brčko im Dezember zu einer offenen Stadt unter internationaler Kontrolle erklärt wird.
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