: Die gestern veröffentlichte Schrift über den mangelnden Widerstand der Katholiken gegen den Holocaust offenbart ein nur halbherziges Mea culpa gegenüber den Juden. Zwar bedauert der Papst "Irrtümer und Fehler". Der Völkermord jedoch sei das
Die gestern veröffentlichte Schrift über den mangelnden Widerstand der Katholiken gegen den Holocaust offenbart ein nur halbherziges Mea culpa gegenüber den Juden. Zwar bedauert der Papst „Irrtümer und Fehler“. Der Völkermord jedoch sei das Werk „moderner Heiden“ gewesen.
Der Vatikan erinnert sich nur schwach
Die Nervosität im Vatikan, die außerhalb der Mauern von St. Peter normalerweise nur selten zu spüren ist, war diesmal groß wie nie. Das „Dokument“ des Papstes über die Mitschuld der Katholiken und der Katholischen Kirche am Holocaust sollte eigentlich einen Schlußstrich nicht nur unter die Gleichgültigkeit der Kirche gegenüber den Greueltaten der Nationalsozialisten an den Juden ziehen, sondern auch Jahrhunderte antisemitischer und antijudäischer Ausfälle auch der Amtskirche gegenüber den angeblichen „Jesusmördern“ beenden.
Elf Jahre brauchte die „Kommission für die Beziehungen zum Judentum“ für die Ausarbeitung des gerade einmal ein Dutzend Seiten starken Konvoluts, das Kardinal Idris Cassidy gestern vormitttag im Vatikan der Öffentlichkeit vorstellte. Allein dieser lange Zeitraum zeigt schon die Schwierigkeiten bei den Formulierungen. Und um nur ja nicht in den Geruch einseitiger gegen den Faschismus gerichteter Polemik zu geraten, hat Papst Johannes Paul II. just an diesem Wochenende erstmals ein Opfer aus einem stalinistischen Gefangenenlager heiliggesprochen.
Skeptisch hat viele Beobachter auch gemacht, daß der Heilige Stuhl auch in allerlei sekundären Streitfragen Einlenken signalisiert, so etwa in der Frage der Anbringung von Kreuzen in den ehemaligen Vernichtungslagern Polens. Nachdem aus den Gedenkstätten sowohl Kreuze wie Davidsterne entfernt wurden, soll im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz nun auch das in Erinnerung an den Papstbesuch vor 20 Jahren angebrachte sechs Meter große Holzkreuz abmontiert werden. „Alles Vorgeplänkel wie bei politischen Weichenstellungen“, mokierte sich gestern ein Kollege während der Pressekonferenz im Vatikan.
Die Skeptiker haben recht behalten. Das Dokument mit dem Titel „Wir erinnern uns – Überlegungen zur Shoah“ löst bei weitem nicht die Erwartungen ein, die der Papst durch einige Reden in jüngster Vergangenheit und Verlautbarungen seines engsten Ratgebers, Kardinal Ratzinger, geweckt hatte. In den zwölf Seiten, denen ein Brief von Johannes Paul II. vorangestellt ist, wird vor allem mit dem bewährten „Zwar-Aber“ hantiert: Zwar sei der Holocaust „ein nicht zu tilgender Fleck auf dem 20. Jahrhundert“, zwar hätten es „viele Christen an der nötige Widerstandskraft“ gegen die nazistischen Unmenschen fehlen lassen. Aber viele hätten eben von den damaligen Greueltaten „nichts gewußt“, hätten „Angst um sich und ihre Lieben“ gehabt. Mancher sei allerdings auch „von Neid und Mißgunst geleitet gewesen“ – alles in allem also menschliche Schwäche und Ignoranz.
In den fünf Kapiteln werden die Beziehungen zwischen Judentum und Christentum durchlaufen, wird das jüdische Volk als das „auserwählte“ gepriesen – auch nach der Geburt Jesu –, ohne das das Christentum undenkbar wäre. Doch je weiter es in der Geschichte vorangeht, um so vager werden die Verurteilungen christlicher Schuld. Höhepunkt: Der schließliche Freispruch für Pius XII., dem die Mehrzahl der heutigen Historiker eine deutliche Nähe zum Nazismus nachsagt – sei es, weil er sich in den 15 Jahren als päpstlicher Nuntius in Berlin „germanisiert“ hatte, sei es, weil er den Nationalsozialismus und Hitler als das einzige Bollwerk gegen den Kommunismus ansah. Im Dokument werden die wenigen Rüffelchen, die Pius XII. den Nazis gegenüber gewagt hat, als Beweis für seine antifaschistische Einstellung hervorgekehrt.
Papst Johannes Paul II. wird, trotz aller Anerkennung seiner Versuche, sich mit den Juden auszusöhnen, wohl noch einiges nachlegen müssen, wenn es am Ende wirklich zu einem tragfähigen Ausgleich kommen soll. Die nächste Gelegenheit ist schon kommende Woche angesagt: Vom 23. bis 26. März wird der vor einigen Jahren begonnene offizielle „katholisch- jüdische Dialog“ fortgesetzt. Und erstmals wird diese Auseinandersetzung nicht auf „neutralem“ Boden ausgetragen, sondern in den heiligen Hallen des Vatikan selbst. Vielleicht ergibt sich daraus am Ende doch noch der Impuls für Papst Karol Wojtyla, die Schuldfrage der Katholiken nicht nur als Kommissionsbericht, sondern im Rahmen eines offiziellen Lehrschreibens an alle seine Gläubigen zu verteilen. Werner Raith, Rom
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen