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■ NachschlagTheaterzentrum Akko in der Akademie der Künste

„You can go“, sagt die zierliche Frau im rosa Morgenrock, die hinter dem schwarzglänzenden Flügel, auf dem sie die vergangenen eineinhalb Stunden gespielt hat, fast versinkt. Nur ein paar Kerzen beleuchten den Raum, und es riecht stark nach Räucherstäbchen. Die kleine Frau am Klavier, die eine Frisur wie auf alten Fotos trägt, spielt auch jetzt noch leise weiter. Und als die Leute keine Anstalten machen zu gehen, sondern darauf warten, daß sie endlich applaudieren dürfen, wird sie ungeduldig. „You can go“ sagt sie wieder, nun etwas lauter. Und irgendwann haben es die Leute dann begriffen, daß die Situation sich hier nicht mehr auflösen wird, nehmen ihre Mäntel von den Stühlen, die im Halbrund um den Flügel herum stehen und gehen ohne weiteren Applaus, der sie wieder zu dem machen würde, was sie an diesem Abend so gerne sein wollten, Zuschauer nämlich.

Aber diese Rolle war ihnen schon in dem Moment abhanden gekommen, als sie den kleinen Raum in der Akademie der Künste betreten hatten, wo die Frau schon am Klavier saß und spielte. Der Raum war so schwach beleuchtet, daß man sie kaum sehen konnte. Als sie anfängt zu sprechen, versteht man sie kaum. Erst allmählich beginnt so etwas wie ein Gespräch, daß sie mit den Leuten führt, in einem Sprachgemisch aus Englisch, Jiddisch, Deutsch und Hebräisch. Sie wundert sich, daß sie ausgerechnet nach Deutschland kommt, um den 50. Jahrestag der israelischen Staatsgründung zu feiern. In Israel wäre sie einfach bloß an den Strand gegangen.

Die ganze Zeit spielt die Frau Klavier. Irgend etwas zwischen Chopin und jüdischer Folklore. Sie redet vom schwarzen Loch in ihrer Seele und davon, daß sie alles bloß durch die Musik ertragen hätte. Eine lebende Tote oder eine tote Lebende, die dieses schwarze Loch langsam vor dem Publikum ausbreitet. Doch der Schrecken kommt nie zur Sprache. Man nimmt ihn wahr, wird aber eingelullt vom schweren Geruch der Räucherstäbchen und vom Fluß der Musik. Man erliegt der Figur am Piano. „I want you to love me“, hat sie gesagt. Da waren die Grenzen zwischen der Figur, die Selma Grünwald heißt und eine Überlebende des Holocausts ist, und Smadar Yaarkon, die eine Schauspielerin des Theaterzentrums Akko in Israel ist, längst verwischt. Man staunte, man lachte über sie.

Nach einer Stunde taucht dann, wie ein Tier unter dem Flügel, plötzlich der Sohn (Moni Joseph) der Pianistin auf, nach dem sie eine Weile schon mit wachsender Unruhe gerufen hatte. Der entpuppt sich nun als die Ausgeburt all der Schrecken, die man bisher bloß ahnen konnte. Ein irres Monster, ein verstörtes Kind, das nun für die Mutter (und für uns) all die jüdischen Horrorszenarios zum besten geben muß, von der Selektion an der Rampe bis zum Giftgasangriff, von Mengele bis Saddam Hussein. Die gepflegte Skurrilität des Hauskonzerts schlägt um. Den Zuschauern ist das Lachen schnell vergangen. Esther Slevogt

Weitere Vorstellungen am 19.3. um 20.00 Uhr und um 22.00 Uhr in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten

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