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Wien im Zustand der Revolution

Staatskanzler Fürst Metternich gibt Demission kund. Gerüchten zufolge ist er aus der Reichshauptstadt geflohen. Das Volk fordert von seiner Majestät eine Constitution  ■ Von Ralf Leonhard

Wien, 14. März 1848 (taz) – Staatskanzler Clemens Wenzel Lothar Fürst Metternich hat am Abende des 13ten März sein Amt zurückgelegt und ist, Gerüchten aus der Hofburg zufolge, aus der Hauptstadt Wien geflohen. Seine Demission folgte auf blutige Unruhen, die ganz Wien in einen Zustand der Revolution versetzt hatten. Ausgehend von Bürgern und Studenten hat sich die Revolte auf die Arbeiter ausgedehnt.

In den letzten Monaten hat sich eine Unruhe der Reichshauptstadt bemächtigt, die alle Klassen der Gesellschaft erfaßt hat. Des rheinischen Fürsten Metternich Autorität war in den letzten Jahren deutlich unthergraben worden. So hatte selbst ein Stückeschreiber es gewagt, sich in einer Comödie über den Staatskanzler zu belustigen. In den letzten Monaten ergriff ein wahres Petitionsfieber die verschiedenen Berufsstände, welche vom Kaiser alles mögliche forderten, von politischen Reformen und der Errichtung einer Nationalgarde bis zur Absetzung des Polizeiministers und der Beurlaubung des verhaßten Staatskanzlers.

Am 13ten traten die Nieder- österreichischen Landstände zusammen, um eine Petition an den Thron zu bringen, worin sie die Aufhebung der Censur und Herstellung eines Rechtszustandes in der Presse begehrten. Den 12ten früh hatte sich die gesammte studierende Jugend in der Universitätshalle versammelt und eine Schrift entworfen, in der es um Preß- und Lernfreiheit geht und gar das allgemeine Wahlrecht moniert wird. Den akademischen Autoritäten gelang es, die Jugend zu beschwichtigen, indem sich eine Deputation derselben erböthig zeigte, die Petition persönlich in die Hände seiner Majestät niederzulegen. Allein, Kaiser Ferdinand, der Gütige, lehnte sie ab.

Den 13ten morgens hatten sich die Studierenden abermals in der Universität versammelt. Von dort aus zogen sie in größter Ordnung, aber unter dem Zusammenflusse einer bedeutenden Menschenmenge, in das ständische Haus in der Herrngasse, wo eine Deputation derselben vor die versammelten Stände beschieden wurde, um diesen ihre Wünsche darzulegen. Mittlerweile hatte sich der Hofraum des Hauses mit Menschen gefüllt. Auch in der Umgegend bildeten sich Versammlungen, unter denen Redner auftraten, welche für dringend geforderte Änderungen im Verwaltungs Systeme eintraten. Im Hofe des Landhauses verlas der junge Mediziner Adolf Fischhof die aufrührerische Rede des ungarischen Reichsdeputierten Ludwig Kossuth.

Lange Zeit hatten Polizei und Militär die bedrohlichen Scenen geschehen lassen. Schließlich kam am Nachmittage der Befehl, dem Treiben ein Ende zu bereiten. Es heißt, der Staatskanzler hätte diese Order gegeben. Als nun die Soldaten zur Säuberung antraten, kam es zum Gedränge und es fielen Schüsse. Es gab Tote und Verletzte zu beklagen. Doch damit war die Unruhe nicht vorbei. Was als Bürgerrevolte begonnen hatte, wurde zur Revolution. Aus den Vorstädten zogen dunkle Elemente gegen das Innere der Stadt, und es hätte wohl noch mehr Blutvergießen gegeben, hätte der Staatskanzler nicht gegen neun Uhr abend seine Demission kundgetan. Er sprach: „Es ist die Aufgabe meines Lebens gewesen, für das Heil der Monarchie zu wirken; glaubt man, daß das Verbleiben auf solchem dieses Heil gefährde, so kann es für mich kein Opfer sein, meinen Posten zu verlassen.“

Am nächsten Tage erließ Kaiser Ferdinand ein Cabinetsschreiben, in welchem er die Errichtung einer Nationalgarde zur Aufrechterhaltung der gesetzmäßigen Ruhe und Ordnung bekanntgab. Gleichzeitig beschloß der Kaiser die Aufhebung der Censur und die alsbaldige Veröffentlichung eines Preßgesetzes. Noch weiß hier niemand, ob der Monarch eine Revolution wird aufhalten können. Aus den Vorstädten hört man, daß Arbeiter Maschinen zertrümmern. Das Volk gibt sich mit den Zugeständnissen der Krone nicht zufrieden und fordert eine Constitution.

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