■ Es geht um die Wurst: Nürnberg im Kampf gegen Plagiateure und Billigimport-Raubritter: Mittelgrob, nicht umgerötet und abgedreht
Nürnberg (taz) – Sie ist derzeit etwa 8 Zentimeter lang, 25 Gramm schwer, aus grobem Schweinefleisch und in engen Schafdarm gezwängt: die Nürnberger Bratwurst. Während sie seit Jahrhunderten allerorten friedlich auf dem Grill dahinbrutzelt, um hernach im Sechser-, Zehner- oder gar Zwölferpack in hungrigen Mägen zu landen, hat nun das städtische Presseamt Alarm geschlagen. Da „gewissenlose Raubkopierer versuchen, ihre Billigimitate mit dem guten Namen dieser Spezialität aufzuwerten“, wittert man dort einige hundert Arbeitsplätze in der fränkischen Metropole in höchster Gefahr. Denn die hängen direkt an der Wurst, und dort ist es mit dem urfränkischen „Baßd scho“ oder „Werd scho wieder wern“ längst nicht getan.
Also taten sich die Stadtväter mit den heimischen Wirten, den Metzgern und den vier hiesigen Großproduzenten zusammen und sagten den Plagiateuren aus Hamburg, Berlin und sogar aus dem europäischen Ausland gnadenlos den Kampf an. Man wälzte EU-Richtlinien, erwog gar, ein Patent für die Rezeptur anzumelden, und hatte bei allem nur ein Vorbild: den „Nürnberger Lebkuchen“. Nach jahrelangem Streit mit in- und ausländischen Konkurrenten war es vor vier Jahren per EU-Gütesiegel gelungen, das Honigkuchengebäck als „landestypische Spezialität“ zu schützen, die nur noch in Nürnberg hergestellt werden darf.
Das gleiche soll nun für die Bratwurst erreicht werden. Während der Streit über den zu schützenden Namen („Nürnberger Bratwurst“, „Nürnberger Rostbratwurst“ oder „Original Nürnberger Rostbratwurst“) noch anhält, hat der Ausschuß für Recht, Wirtschaft und Arbeit des Stadtrates in öffentlicher Sitzung und nach einer ausführlichen Bratwurstdegustation in der „Historischen Bratwurstküche“ (wo sonst?) wenigstens schon einmal die Rezeptur bis ins Detail festgelegt: „Grob entfettetes Schweinefleisch, absoluter Fettgehalt max. 35 %, mittelgrobe Körnung, ohne Brätanteil, nicht umgerötet, im engen Schafsaitling, auf 7 bis 9 cm Länge abgedreht, Stückgewicht roh ca. 20 bis 25 Gramm, typische Majoran- Würzung“. Und sonst nichts!
Während die Industrie- und Handelskammer zur gleichen Zeit Nürnberg als Kompetenzregion für Energie und Umwelttechnik, Verkehr und Logistik, Kommunikation und Multimedia sowie Medizin und Pharma vorstellte, um an diesen Wachstumsmärkten zukünftig zu partizipieren, will der Nürnberger Stadtrat wenigstens die Kompetenz sichern, die man schon hat: Nürnberg, die Kompetenzregion für Lebkuchen und Bratwürste.
Bezüglich ihres Wachstums ist die Nürnberger Bratwurst jedoch ein gar widersprüchliches Ding, wurde es doch in seiner nun 566jährigen Geschichte kontinuierlich kleiner. Leider klafft in der Bratwurstforschung eine große Lücke von Nürnbergs Ersterwähnung im Jahre 1050 bis zum Jahre 1462. Damals, das steht fest, wog eine Bratwurst in der Freien Reichsstadt Nürnberg noch stolze 64,7 Gramm. Dann begann ein merkwürdiger Schrumpfungsprozeß. Zwar brutzelte 1573 auf dem Rost einer Nürnberger Wurstküche schon die weltweit erste 25- Gramm-Mini-Rostbratwurst, aber nicht lange. Der Magistrat schritt gnadenlos dagegen ein. Die Würste flogen in hohem Bogen in die Pegnitz, es hagelte Geldbußen für die Metzger. Erst achtzig Jahre später, so um 1650 herum, hatte sich das kleine Ding aber endgültig durchgesetzt. Böse Zungen behaupten, die Wurst sei so klein geworden, um sie den Gefangenen durch die damals noch recht großen Schlüssellöcher der Gefängnistüren hindurchstecken zu können. Aber warum ist sie heute noch so klein? Und warum bleibt sie es künftig? Fragen über Fragen. Bernd Siegler
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