Das Portrait: Verläßlicher Unterzeichner
■ Ralph Giordano
Rein optisch wäre er der ideale Dirigent: Keiner schüttelt sich so eindrucksvoll das silbergraue Haar zurecht; keiner pflegt einen so unerbittlichen Aufsteh- und Taktgebungsimpuls wie er: Ralph Giordano, Fernsehdokumentarist und Schriftsteller, oberster Aufrufunterzeichner, Chefmahner und jüdisches Gewissen der Nation. Die Dirigentenrolle wäre schon wegen seiner Herkunft – der sizilianische Vater und die jüdische Mutter des 1923 in Hamburg geborenen Giordano waren Musiker – nicht ganz abwegig gewesen. Statt dessen wurde jedoch sein Judentum und die Schuld der Deutschen zum zentralen Thema seines Lebens. Als er im April 1933 ins Hamburger Johanneum kam, erfuhr er, was es heißt, als „Nicht- Arier“ stigmatisiert zu werden. 1940 mußte er, nach Verhören und Mißhandlungen durch die Gestapo, das Gymnasium verlassen. Als 1944 die Mutter deportiert werden sollte, organisierte er ein Versteck; im Mai 1945 wurden die Giordanos kurz vor dem Verhungern von den Engländern befreit. Die Geschichte der Familie ist Gegenstand des Romans „Die Bertinis“ (1982), der auch erfolgreich fürs Fernsehen verfilmt wurde. Bereits ein Jahr zuvor war „Die zweite Schuld oder Von der Last ein Deutscher zu sein“ erschienen – ein Buch über die Verdrängungskunst und den Opportunismus der Deutschen.
1946 hatte Giordano die Erfahrung der Nazi-Diktatur mit dem Beitritt zur KPD beantwortet. Bis 1956 arbeitete er für kommunistische Zeitungen. Die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus führte 1957 zum Bruch und 1961 zum selbstanklägerischen Buch „Die Partei hat immer recht“. Damit war der Weg für die Fernsehkarriere des Anti-Totalitaristen frei. Bis zu seiner Pensionierung 1988 drehte er rund hundert Filme. Hauptthemen waren die Aufklärung über Nationalsozialismus, Stalinismus und die Probleme der Entwicklungsländer. Nach 1989 kam die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit als wichtiges Thema dazu, sah er doch in der mangelnden Aufarbeitung der SED- Diktatur eine Wiederholung der Mechanismen der Verdrängung. Auch als Ruheständler blieb Giordano der radikale, opponierende Moralist. Ob es nun für Sarkuhi, gegen Rechtsradikalismus, für das Holocaustmahnmal, für das Gute oder gegen das Böse Position zu beziehen gilt, dann steht er in der ersten Reihe und unterschreibt. Darauf wenigstens ist in der Welt Verlaß. Jörg Magenau
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