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Essen und Pillen aus einem Konzern

Die Pharmakonzerne stoßen ihre Chemiesparten ab und wollen dafür mit Landwirtschaft und neuartigen Nahrungsmitteln gute Gewinne einfahren. Die Konsumenten müssen dem erst noch folgen  ■ Aus Berlin Reiner Metzger

Die Schering AG ist mit ihren Verkaufszahlen 1997 wieder da angelangt, wo sie vor fünf Jahren schon einmal war: bei einem Umsatz von 6,2 Milliarden Mark. In der Zwischenzeit lag allerdings kein Geschäftseinbruch, sondern eine Umstrukturierung des Berliner Pillenherstellers. Der hatte drei Chemiesparten abgegeben und die Pflanzenchemie in die AgrEvo, ein Gemeinschaftsunternehmen mit der Hoechst überführt. Die Geschäfte mit Verhütungsmitteln und Hormonen liefen seitdem prächtig, vor allem der Gewinn kletterte munter und erreichte nach den gestern vorgelegten Zahlen 1997 eine Höhe von 446 Millionen Mark.

Damit steht die Rendite in einer Reihe mit den großen Konzerne der Branche wie Novartis, Monsanto und Co. Bis auf Hoechst hatten alle Großen in der Pharmabranche Rekordgewinne gemeldet. Die Gewinnsteigerungen haben ihren Grund einerseits im stetig steigenden Verbrauch von Medikamenten weltweit. Auf dem größten Markt USA lag der Umsatz 1996 im Gesundheitsbereich bei knapp 100 Milliarden Dollar (180 Milliarden Mark). Deutschland lag mit einigem Abstand hinter Japan auf Platz drei mit Pharmaverkäufen von etwa 20 Milliarden Dollar, melden die Marktbeobachter von IMS Global Sources.

Ein weiterer Gewinnquell der Branche sind Rationalisierungen. Seit Jahren schwappt bei den Pillenkonzernen eine wahre Konzentrationswelle um den Globus. Dabei ist ein großer Trend deutlich: Viele der früher gemischten Chemie/Pharma-Konzerne stoßen ihre Chemiesparten ab. Sie wollen ihre Management- und Forschungsressourcen auf die gewinnträchtigsten Sparten konzentrieren, als da wären: der traditionelle Pharmabereich, Agrochemie und Saatgut sowie neuartige Nahrungsmittel.

Bei den Arzneien winken schon seit jeher hohe Gewinmargen. Mit den Methoden der Gentechnik und revolutionärer Synthesemethoden mit Computerhilfe soll es hier in den nächsten Jahren eine Lawine neuer Medikamente geben. Jedes Medikament kostet aber in der Entwicklung und dem naturgemäß aufwendigen klinischen Zulassungsverfahren mehrere hundert Millionen Mark – ob es auf dem Markt nun ein Flop oder ein Topseller wird.

Nur ein großer Konzern kann es sich deshalb leisten, gleichzeitig mehrere Dutzend Arzneien „in der Pipeline“ zu haben. Das mußte am Dienstag auf der Jahrespressekonferenz selbst Novartis anerkennen, die Nummer eins der Branche, 1996 aus der Fusion der Schweizer Konzerne Ciba Geigy und Sandoz entstanden. Mit einem Marktanteil von knapp fünf Prozent erzielten sie 1997 einen Umsatz von 31,2 Milliarden Schweizer Franken (38,4 Miliarden Mark). Der Novartis-Reingewinn schoß dabei auf 6,4 Miliarden Mark. Trotzdem will sich Pharmachef Jerry Karabelas in der Neuentwicklung auf gut 60 Medikamente konzentrieren. Letztes Jahr waren es noch weit über 70 gewesen.

Gleichzeitig soll das Gen- Know-how aus dem Pharmabereich in der Landwirtschaft und Ernährung gewinnbringend angewandt werden. Denn im künftigen Agrobusiness wird die Gentechnik die entscheidende Rolle spielen. Neue Sorten sind mit gentechnischen Methoden schneller zu erfinden als mit traditioneller Zucht und Auslese.

Bei den Genpflanzen haben die Konzerne aber noch ein Problem – vor allem in Europa. Hier sind viele Verbraucher strikt gegen von der Industrie verändertes Erbgut in der Nahrungskette. Novartis will deshalb auf die Bedenken der Verbraucher eingehen. Die Konzernmanager sprachen sich grundsätzlich für eine Kennzeichnung von Lebensmitteln mit Gentechnik-Inhalt aus. Der Teufel liegt allerdings im Detail: Wird erst ab einem bestimmten Anteil veränderter Proteine im Nahrungsmittel ein Genlabel aufgeklebt oder schon, wenn die produzierenden Pflanzen oder Bakterien biotechnisch verändert sind? Hierüber stimmt sich die Branche gerade ab.

Ihren Sprachgebrauch haben die Pharmakonzerne auf die Rechtfertigung der Gentechnik in Nahrungsmitteln eingestellt. Monsanto beispielsweise hat als Firmenmotto „Essen, Gesundheit, Hoffnung“ gewählt – weil ihrer Meinung nach nur die Biotechnik vielleicht einmal viele Krankheiten heilen und nur Gengetreide die Ernährung der stetig wachsenden Weltbevölkerung sichern könnte.

Neuartige Nahrungsmittel sollen überhaupt das dritte Standbein der Pharmawelt werden. Dabei ist nicht an Reis für die Hungernden gedacht, sondern an Gesundheits- Food für diejenigen, die es sich leisten können. Nutriceuticals heißt das Stichwort, ein Wortzwitter aus Nutrition (Ernährung) und Pharmaceutical (Medikament).

Hier stoßen die Pharmakonzerne allerdings auf mächtige Konkurrenten. So hat beispielsweise der Nahrungsgigant Unilever (Langnese, Rama) am Montag die Entwicklung einer Margarine bestätigt, die den angeblich herzinfarktfördernden Blutfettgehalt um zehn Prozent verringern soll.

Novartis will ebenfalls auf dem Gebiet des „präventiven Essens“ aktiv werden. Über die genauen Projekte schweigt Thomas Ebeling, der Chef von Novartis Ernährung. „Im Gegensatz zum Wirkstoff eines Medikaments kann eine Patentierung auf dem Nahrungsmittelsektor leicht umgangen werden“, fürchtet er um die Profite. Er baut aber auf das klinische Zulassungs-Know-how und die Genlabors der Pharmasparte des Konzerns – eine profitable Zusammenarbeit früher getrennter Firmenbereiche.

Beim Gesundheits-Food könnte sich jedoch ein neuer Konkurrent auftun: Schering kündigte jetzt eine neue Pille an, die nicht nur verhütet, sondern auch noch schlank macht.

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