: Die Frauen der Bewegung
1975. Mit ihrem Buch „Der kleine Unterschied“ facht Alice Schwarzer die Diskussion über das Thema Sexualität an. Die Protokolle über die Lebens- und sexuelle Misere von Frauen sprengen ein Tabu. Es belegt eindringlich die Losung der Frauenbewegung: „Das Private ist politisch.“
Die Frauenbewegung kommt in ihre sogenannte Projektephase. Überall entstehen Frauenzentren, -verlage, -buchläden, -zeitungen, -kneipen.
1976. In Berlin wird von einem Kollektiv die Courage herausgegeben, eine feministische Zeitschrift, die acht Jahre lang den Strom von Meinungen und Theorien der Bewegung kanalisiert.
1977. In Köln erscheint die erste Emma, Alice Schwarzers feministische Zeitschrift, die sich als Publikumsblatt versteht und eine breite Schicht von Frauen ansprechen will. Emma überlebt ihre Gegenspielerin Courage und feierte letztes Jahr ihr 20jähriges Jubiläum.
An dem Streit in der Frauenbewegung um die Emma zeigt sich ein exemplarischer Konflikt: die Schwierigkeit der Bewegung mit Macht und Stärke. Der kollektive, antiautoritäre Anspruch, mit dem die Frauen angetreten sind, ist in der Praxis nur schwer zu verwirklichen. Viele Projekte zerbrechen an dem, was sie einst zusammengebracht hat: dem Ruf nach Gleichheit und Gemeinsamkeit. Vor allem Alice Schwarzer, die inzwischen eine feministische Galionsfigur ist, wird vorgeworfen, die Ideen der Bewegung auszubeuten und auf Kosten anderer Frauen ihre geschäftlichen Interessen zu betreiben.
In den 80er Jahren gibt die Frauenbewegung ihre Autonomie ein gutes Stück auf und integriert sich stärker in die Gesellschaft. Sie tritt in ihre sogenannte institutionelle Phase ein. Die feministische Frauenforschung hat sich bereits an den Universitäten etabliert. Frauenministerinnen und Gleichstellungsbeauftragte vertreten die Sache der Gleichberechtigung in Institutionen, Universitäten und großen Firmen. Familien- und Sexualstrafrecht werden geändert, der Abtreibungsparagraph 218 liberalisiert.
In den 90er Jahren hat der feministische Diskurs ein neues Thema: Die Gender-Debatte. Die einst spektakuläre Revolte kommt in die Jahre und verschwindet aus den Schlagzeilen. Die Angst vor dem Backlash, dem feministischen Gegenschlag, geht durch das Land. Damit verbunden verbreitet sich die Mär, der Feminismus habe den Frauen zwar politische Erfolge, aber persönliches Unglück beschert. Tatsächlich sind Frauen offenbar nicht im Himmel der Befreiung angekommen, sondern sind noch immer im Fegefeuer des täglichen, zermürbenden Kampfes der Geschlechter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen