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Papon war nur „ein unvermeidliches Rädchen“

■ In Frankreichs Strafverfahren gegen den NS-Kollaborateur Maurice Papon wegen der Deportation von Juden fordert der Staatsanwalt lediglich zwanzig Jahre, nicht lebenslänglich

Paris (taz) – Papon „wußte, weil er sah“. Papon kannte das „grausame Schicksal“ der Juden. Papon hat der SS „bis zum Ende Folge geleistet“. Papon kannte „die geplante und mörderische Absicht der Deutschen“. Papon ist „der Komplizität bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig“.

So sprach Generalstaatsanwalt Henri Desclaux am Donnerstag in seinem über siebenstündigen Plädoyer im Schwurgericht von Bordeaux. Trotzdem plädierte er nicht auf das Strafhöchstmaß lebenslänglich, sondern verlangte 20 Jahre Gefängnis sowie den Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte für den 87jährigen Angeklagten Maurice Papon, der von 1942 bis 44 Generalsekretär der Präfektur der Gironde war und die Deportation von 1.560 Juden organisiert haben soll. „Papon war ein unvermeidliches Rädchen. Er hatte eine wichtige Rolle, aber er war weder der Autor noch der Anstifter, noch der einzige Komplize“, begründete der Generalstaatsanwalt seine Mäßigung.

Am Donnerstag mittag waren Papon, der während seines über fünfmonatigen Prozesses die Beherrschung französischer Spitzenfunktionäre gezeigt hatte, die Nerven durchgegangen. Der Generalstaatsanwalt war gerade in der dritten Stunde seiner Rede und beschrieb den Konvoi mit Deportierten vom Juli 1942, den der damals 31jährige Papon als eine seiner ersten Amtshandlungen in der Gironde organisiert hatte. „Was hat Maurice Papon Menschliches für diese Juden getan?“ fragt der Generalstaatsanwalt. Und antwortet gleich selbst: „Nichts, er ist in seinem großen Büro geblieben. Ein paar Tage später hat er von der Dienststelle für Judenfragen 77.049 Franc und ein paar Schmuckstücke entgegengenommen. Zweifellos der Preis, den die Juden für ihre Deportation bezahlen mußten.“

In diesem Moment stand Papon auf und verließ mit den Worten „Das ist zuviel“ den Gerichtssaal. Eine knappe Viertelstunde später kam er zurück, entschuldigte sich bei Richter und Geschworenen und nahm erneut Platz.

Stunden später verschlug es den Anwälten der Nebenkläger, darunter vor allem Verbände von Angehörigen von Deportierten, die fast alle für lebenslänglich plädiert hatten, die Sprache. „Der Staatsanwalt spricht nur von 74 Opfern, wo es 1.600 waren“, sagte schließlich Anwalt Michel Zaoui zu Journalisten, „warum hat der Staat Papon nicht wegen der Opfer aller acht Konvois verfolgt?“ Anwalt Alain Jakubowicz nannte das geforderte Strafmaß eine „Banalisierung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit“. Die einzige Chance, so Jakubowicz, sei jetzt das Volk. Damit meinte er die neun Geschworenen, die Ende kommender Woche zusammen mit drei Berufsrichtern das Urteil fällen sollen.

Selbst wenn Papon zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt werden sollte, wird er noch lange nicht seine Freiheit verlieren. Der alte Mann und seine Verteidiger, deren Plädoyers am Montag beginnen, hatten bereits angekündigt, daß er Einspruch erheben wird. Bis zum Entscheid des Kassationsgerichtshofes steht seine Strafe aus. Dorothea Hahn

Kommentar Seite 12

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