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„Ich glaube, wir schaffen's“

Nach Gewinn einer Halbschwergewichts-WM durch die Rocchigianis sagt RTL-Chefredakteur Hans Mahr Sat.1 den Kampf an  ■ Von Peter Unfried

In der Pause zur neunten Runde hielt es den Mann nicht mehr auf seinem Sitz. Er riß sich den Kopfhörer von den geröteten Ohren, rannte eine halbe Runde um den Ring und stoppte erst bei einem Menschen mit schwarz glänzender Lackhose und rot glühendem Kopf. Den küßte er flink mit einer Rechts-links-Kombination, flüsterte noch etwas und rannte wieder von dannen.

Was trieb den Chefredakteur des übertragenden Fernsehsenders RTL dazu, in solch bangen Sekunden die Nähe der Box-Managerin Christine Rocchigiani zu suchen? Wo die gerade vollauf beschäftigt war, mit ihren brodelnden Gefühlen („Du Drecksau, du Schwein“) gegen einen der beiden Männer im Ring zu kämpfen?

Nachdem „ich gesehen habe, wie nervös sie war“, sagte Hans Mahr, habe ihn die Sorge getrieben. Janz ruhig, Christine, flüsterte er daher in ihr Ohr: „Ich glaube, daß wir es schaffen.“

Und so geschah es. Das eher unwahrscheinlich scheinende hat sich in dieser Samstagnacht doch noch so überraschend wie wunderbar vollzogen. Die für teueres Geld eingekauften Vertragspartner Rocchigiani sind samt Interimstrainer Ralf Rocchigiani nach einem 2:1 Punktsieg über den US- Amerikaner Michael Nunn (34) Halbschwergewichts-Weltmeister des angesehenen Unternehmens WBC – und der nach Henry Maskes Münchener Abgang titellose Sender ist es auch. Darauf lassen jedenfalls die enthusiastischen Reaktionen der RTL-Journalisten nach Kampfende schließen.

Die allgemeine Freude soll auch nicht der Fakt trüben, daß der Vertrag zwischen Box-Promoter Wilfried Sauerland und RTL zwar bis 2000 läuft, jener mit Rocchigiani aber nun abgelaufen ist. Sauerland wird in den nächsten Tagen mit den Rocchigianis reden. Geschäftspartner Mahr wird sich „persönlich beteiligen“.

Nachdem am Freitag abend der Konkurrenzsender Sat.1 mit seiner ersten Live-Übertragung des K.o- Sieges (vierte Runde) von WBO- Weltmeister Dariusz Michalczewski über Andrea Magi den Markt getestete hatte, wird der Sohn eines sardischen Eisenbiegers mehr denn je gebraucht. RTL sieht sich herausgefordert – allerdings von einem hoffnungslos unterlegenen Gegner. „So klar“, sagte Mahr, sei der Qualitätsunterschied der Events gewesen, nachdem die Konkurrenz mit dem Herausforderer Magi „ausgerechnet einen Strandkorbverkäufer aus dem wohlverdienten Winterschlaf gerissen“ habe. Tatsächlich vermietet der Italiener erstens sommers Strandmobiliar – und war zweitens gegen Michalczewski genausowenig ein Siegkandidat wie schon zuvor gegen den RTL-Klienten Maske.

Mahr jedenfalls stört sich nicht bloß an den gesendeten „Beleidigungen“ von Sat.1 gegen den Boxer Rocchigiani (34), sondern insbesondere an den „absurden Unterstellungen“, RTL habe 1996 bei der Vertuschung einer Ephedrin- haltigen Dopingprobe des Geschäftspartners mitgewirkt. Rocchigiani, der in der Öffentlichkeit sowieso „dieses schlechte Image“ (RTL-Sportchef Michael Lion) hat, werde sich hüten, zu einem Sender zu wechseln, der ihn nicht lieb hat.

Das ist trotz einer weniger moralischen als hauptsächlich materialistischen Grundeinstellung des gelernten Boxprofis und Gebäudereinigers kaum zu befüchten. Erstens hatte Sat.1 die Rechte nur ausnahmsweise, zweitens scheinen nach gewissen Spannungen im letzten Jahr und bitteren Vorwürfen Rocchigianis über die Unprofessionalität RTLs die Beziehungen zwischen den Geschäftspartnern wieder deutlich stabiler.

Als Managerin Rocchigiani im Februar untröstlich schien, ob des wegen Fiebers des Gatten abgesagten ersten Versuchs gegen Nunn – wer eilte da in die Hotelsuite, um erste Hilfe zu leisten? Mahr. Und als es sie diesen Samstag in aller Herrgottsfrühe drängte, ihre Sorge kundzutun, daß der nervöse Ehemann die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte – bei wem fand sie da ein offenes Ohr? Genau. Das ist, so sieht das aus, mehr als eine eiskalte Geschäftsvereinbarung. Da haben sich gefunden ein Boxer „mit Herz“ (Mahr) und ein ebensolcher Sender. Es mögen sich also demnächst zwar Rocchigiani-übliche Probleme stellen, aber keine unlösbaren. Jedenfalls, solange er nicht gegen Michalczewski in einem Bereich boxen will, in dem dessen mit Premiere verbandelter Promoter Kohl die Geschäftshoheit hat.

Was kann sonst kommen? Wenn die WBC tatsächlich einen Kampf gegen Rocchigianis zurückgetretenen Vorgänger Roy Jones anordnet, wäre der interessant – aber womöglich der letzte. Promoter Sauerland hat schon Entwarnung gegeben: Eine Pflichtverteidigung sei „frühestens in einem Jahr“ nötig. Das Vernünftigste wird sein, einen Zwischenevent einzuschieben. Es muß ja kein Strandkorbvermieter sein.

Eigentlich muß die Revanche gegen Michalczewski (29) aber noch kommen. RTL gibt den Menschen gerne, was sie wollen. Und manche in der nicht eben ausverkauften Schmeling-Halle brüllten, sie wollten nun „den Polen sehen“ und sangen fröhlich: „Tiger, Tiger, hahaha“.

37 Kämpfe, 37 Siege, darunter einen klaren Sieg über den Maske- Bezwinger Hill und einen Disqualifikationssieg gegen Rocchigiani hat der Wahl-Hamburger und gebürtige Danziger nun aufzuweisen. Der RTL-Chef fürchtet dennoch, er brauche „noch ein paar Aufbaukämpfe“, bevor man ihn gegen Rocchigiani in den Ring schicken könne - „das wäre sonst unfair“.

Mahr (48), ein Landsmann und „Freund“ (Spiegel) von RTL-Chef Helmut Thoma, ist beim deutschen Marktführer zuständig für Information, vermittelt etwa über die Nachrichtensendungen „RTL aktuell“ und „Nachtjournal“ – und Sport. Ein mächtiger Mann ist er. Wenn Helmut Kohl zum Holzinger-Bauern nach St. Gilgen ruft, darf er den Kanzler nicht bloß interviewen, sondern ihm auch noch beim Mosttrinken zusehen.

Dennoch inszeniert er sich nicht als ein der gemeinen Welt entrückten Supermanager oder feingeistigen Intellektuellen. Er ist ein Mann von Humor und bemüht um eine verständliche Sprache. Klares Deutsch ist dem Österreicher wichtig, nur das, so seine Geschäftserkenntnis, lasse sich dem Box-Seher verkaufen – selbst oder gerade wenn es sich um den Sprachwissenschaftlern womöglich etwas restringiert daherkommenden Code der Rocchigianis handelt. Keinesfalls aber reüssiere man mit „tschetschenischen Frontkämpfern“, mit denen der Konkurrenz-Promoter Klaus-Peter Kohl (Universum) seine Vertragspartner zu beliefern pflege.

„Jeder“, sagte Mahr lustig in der Samstagnacht zum Showdown der Sender, „konnte sich gestern und heute ein Bild machen.“ Das Bild des Fernsehzuschauers: Sat.1 hatte 5,27 Millionen in der Spitze (24,4 Prozent Marktanteil), RTL 9,15 (allerdings nur 19 Prozent Marktanteil).

Ist kein Wunder: „Die einzigen, die bei Sat.1 Deutsch gesprochen haben“, konnte Mahr nach linguistischer Auswertung der Konkurrenz zufrieden feststellen, „waren die, die in der Werbung vorgekommen sind.“ Das mag ein bisserl hart aufschlagen am Kinn des einen oder anderen – aber bittschön, wer hat denn angefangen?

Boxen ist, nun ja, Boxen. Dennoch fordern manche besorgt mehr Stil ein. WBO-Titelträger Michalczewski zum Beispiel hat gestern auf die Einschätzungen Rocchigianis reagiert, seine Person betreffend („Diese Pfeife“). Es sei „ekelhaft“, wie sich jener Kollege ausdrücke, der ihm vor zwei Jahren „in die Eier gehauen“ hatte. Das sei, sagt er, „nicht mein Niveau – sportlich und menschlich“.

Hans Mahr hat mit dem Niveau keine Probleme. „Wenn man einen Rocchigiani engagiert“, erklärt der RTL-Chefredakteur oft und geduldig, „darf man nicht wehleidig sein.“ Er weiß, wovon er spricht. Mahr hat gleich zwei davon am Hals, bisweilen sogar im wahrsten Sinn des Wortes.

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