: Suche nach dem wahren Sahraui
Die Registrierung jener, die über die Zukunft der besetzten Westsahara abstimmen sollen, gerät ins Stocken ■ Von Reiner Wandler
Die Zeit der optimistischen Töne ist vorbei. In den letzten Wochen beschwert sich die Westsahara-Befreiungsfront Polisario immer öfter über die marokkanische Regierung. Rabat versuche gezielt die Wählerlisten für eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der Westsahara zu manipulieren, um so einen Verbleib der 1976 von der marokkanischen Armee besetzten ehemaligen spanischen Kolonie im Reich von König Hassan II. zu gewährleisten. Marokkaner, die erst nach der Annektierung des Landstrichs an Afrikas Westküste gegenüber den Kanarischen Inseln angesiedelt worden seien, sollen gezielt „trainiert werden“, um bei der Identifizierung der Wähler als Sahrauis durchzugehen.
Um diese Vorwürfe zu untermauern, legte der außenpolitische Sprecher der Polisario, Salem Ould-Salek, der Presse einen fünfseitigen Rundbrief von Marokkos Innenminister Driss Basri an die Zivilgouverneure der besetzten Provinzen vor. „Die Ergebnisse der Identifizierung sind zur Zeit unter dem notwendigen Niveau dank negativer Bescheide und der unzureichenden Vorbereitung der Anwärter auf die Befragung“, beklagt sich Basri darin. In den für die Aufstellung der Wählerlisten zuständigen UN-Büros sitzen jeweils zwei sahrauische Scheichs. Einer aus den von Marokko besetzten Gebieten und ein anderer aus den Flüchtlingscamps im westalgerischen Tindouf, wo knapp 200.000 Sahrauis seit 1976 auf die Rückkehr in ihre Heimat warten. Nur wer von beiden als Angehöriger eines sahrauischen Stammes akzeptiert wird, darf beim Referendum über die Zukunft der Westsahara mitbestimmen. „Die nächsten Wochen sind entscheidend für einen Ausgang der Volksabstimmung zugunsten des Verbleibs der Sahara bei Marokko“, ruft der Basri den Seinen in Erinnerung und fordert sie auf, „die Instruktionen genau zu befolgen“. Denn: „Das Ergebnis der Volksabstimmung hängt unmittelbar von eurem persönlichen Einsatz ab.“
Nach Angaben von Ould-Salek sollen marokkanische Militärs Anfang des Monats in der Südprovinz Tan Tan nach einer Demonstration für die Unabhängigkeit der Westsahara um die hundert Sahrauis verhaftet und gefoltert haben. 20 von ihnen seien bis heute nicht wieder aufgetaucht. Die marokkanische Regierung bestreitet dies und erhebt ihrerseits Anschuldigungen gegen die Polisario. Die Scheichs aus Tindouf würden sich weigern, 2.500 Wähler anzuerkennen, obwohl deren Familien eindeutig auf den Listen der letzten Volkszählung durch die spanischen Kolonialherren von 1974 erfaßt seien.
„Wir haben einige Schwierigkeiten, die sind aber überwindbar“, versucht UN-Generalsekretär Kofi Annan weiterhin optimistisch zu wirken. Er möchte erst gar nicht den Verdacht aufkommen lassen, der Streit um die Wählerlisten könnte wie bereits 1996 die Vorbereitungen der Volksabstimmung zum Scheitern bringen.
Die UNO will am Termin für die Volksabstimmung, dem 7. Dezember, unbedingt festhalten. Doch an ein Ende der Wähleridentifizierung bis Ende Mai, wie es der von den beiden Konfliktparteien im vergangenen September unter der Vermittlung des ehemaligen US-Außenministers James Baker vereinbarte Fahrplan vorsieht, glaubt niemand mehr. Annan wird vermutlich im kommenden Monat die beiden Konfliktparteien erneut nach Houston in den USA rufen. Dort hatten sich Polisario und marokkanische Regierung bereits auf die Durchführung des Referendums verständigt. Und dort soll jetzt UN-Vermittler James Baker erneut das Referendum retten.
Sowohl die Polisario als auch die marokkanische Regierung wollen die Zeit bis dahin nicht ungenutzt verstreichen lassen. Sie stürzen sich in diplomatische Aktivitäten. Muhammad Abdelasis, Vorsitzender der Polisario und Präsident der von ihr ausgerufenen Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS), reist quer durch Europa. Vor allem die ehemalige Kolonialmacht Spanien will er gewinnen, um so ein Gegengewicht zur französischen Unterstützung für Marokko zu schaffen.
Marokko versucht seinerseits alte Freundschaften zu pflegen. Ausgerechnet dem neuen Regierungschef, dem Sozialistenführer Abdelrahman Jussufi, fiel die Aufgabe zu, nach Rußland zu reisen, einem der Hauptabnehmerländer für das in der Westsahara gewonnene Phosphat. Dort traf er sich mit Regierung und Opposition. „Die Volksabstimmung wird die marokkanische Souveränität und territoriale Einheit nicht in Frage stellen. Die Sahara ist integraler Bestandteil Marokkos“, sprach Jussufi gegenüber der Tageszeitung Nezavissemaya Gazeta das aus, was er in Westeuropa und den USA lieber nicht an die große Glocke hängt. Die Hoffnungen bei der Polisario, der Wechsel der marokkonischen Regierung hin zur Opposition würde die Referendumsvorbereitungen erleichtern, wurden damit enttäuscht.
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