: Meineid der Entlastungszeugen?
Im „beschleunigten Verfahren“ wurden schon am Freitag zwei Castor-Gegner verurteilt. Von „klarer Beweislage“ kann nach Meinung der Verteidigung keine Rede sein ■ Von Christian Rath
Freiburg (taz) – Die schwäbische Justiz zeigt dem Castor-Widerstand die Zähne. Im „beschleunigten Verfahren“ wurden bereits am Freitag, also einen Tag nach Abfahrt des Transports in Neckarwestheim, zwei Castor-Gegner zu je sechsmonatigen Bewährungsstrafen verurteilt. Diese Art von Schnelljustiz soll laut Gesetz nur bei „einfachem Sachverhalt“ oder „klarer Beweislage“ zur Anwendung kommen. Doch vor dem Amtsgericht Heilbronn stand Aussage gegen Aussage. Den ZeugInnen der Verteidigung wurde dabei nicht geglaubt – dafür wird gegen sie nun wegen Meineids ermittelt.
Ein 21jähriger Azubi aus Stuttgart soll einen Polizeibeamten eine steile Böschung hinuntergestoßen haben. Vor Gericht schilderte ein anderer Polizist, wie sich einer der Castor-Demonstranten aus der Gruppe vor dem AKW-Tor löste, über die Straße lief, schubste und dann wieder in der Gruppe verschwand. Der Azubi benannte in der Verhandlung jedoch drei ZeugInnen dafür, daß er die ganze Zeit bei der Gruppe geblieben war. Der Richter ließ sowohl den Polizisten als auch die drei AKW-GegnerInnen vereidigen und folgte dann der Version des Polizisten. Noch im Gerichtssaal ließ die Staatsanwaltschaft die drei EntlastungszeugInnen wegen ihres vermeintlichen „Meineids“ festnehmen.
„In so einer aufgeheizten Situation kann man doch kein beschleunigtes Verfahren durchführen!“ empört sich Anwalt Hans Göller aus Heilbronn, der andere Castor- Gegner vertritt (der Azubi war gar nicht anwaltlich vertreten, weil man auf einen angekündigten Verteidiger nicht warten wollte).
Das beschleunigte Verfahren wurde 1994 im Rahmen des „Verbrechensbekämpfungsgesetzes“ in die Strafprozeßordnung eingeführt. „Folgt die Strafe der Tat auf dem Fuß, ist die erzieherische Wirkung um so größer“, so der Grundgedanke des Gesetzgebers. In derartigen Schnellverfahren genügt es, die Anklage mündlich in der Hauptverhandlung zu erheben, ohne vorher eine Anklageschrift anzufertigen. Der Angeklagte erfährt also erst in der Verhandlung, was ihm vorgeworfen wird; eine Vorbereitung der Verteidigung ist da nur eingeschränkt möglich.
Amtsrichter Lothar Kindl hatte im Fall des Castor-Gegners keine Bedenken. „Wenn ein Fall für das vereinfachte Verfahren paßt, dann so einer“, sagte Kindl zur taz. Daß Aussage gegen Aussage stehe, sei normal. „Das macht den Fall noch nicht zur schwierigen Sache.“ Daß bei dieser Entscheidung auch „generalpräventive“ Aspekte eine Rolle gespielt haben, räumt Volker Link, Sprecher der Staatsanwaltschaft, freimütig ein. Immerhin war der Castor-Transport zum Zeitpunkt der Verhandlung noch auf den Gleisen.
Ein 25jähriger Student aus Karlsruhe, der einen Polizisten getreten haben soll, wurde am Freitag ebenfalls im Schnellverfahren verurteilt. In beiden Kurzprozessen wurde Berufung eingelegt. Ein normales Verfahren bekommen die beiden Tunnelgräber, die durch die Unterhöhlung einer Straße den Castor-Transport stundenlang verzögerten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen