: "Es ist ja nicht nur Farbsuppe"
■ Gehört Staatskunst aus der DDR zum vereinten Deutschland? Ein Gespräch mit dem Berliner Ausstellungsmacher Christoph Tannert über Bernhard Heisigs Bilder im umgebauten Reichstag
taz: Bernhard Heisig wird vorgeworfen, daß er mit 17 Jahren bei der Waffen-SS war. Deshalb soll er nun deutsche Kunst nicht mehr im neuen Reichstag repräsentieren. Ist damit auch Ihre Kritik an Heisig als einem staatskonformen DDR-Künstler hinfällig?
Christoph Tannert: Der Kunstbeirat des Bundestages und die beratenden Kuratoren haben scheinbar naiv oder in totaler Desinformiertheit die Nominierung von Bernhard Heisig vorgenommen. Allein dieser Vorgang ist schon unglaublich. Schließlich hätte man über den Künstler Heisig – vom verdienten Hochschullehrer der DDR bis zum Träger des Theodor- Körner-Preises der Nationalen Volksarmee der DDR – alles in Katalogen wie dem des Prestel- Verlags von 1989 nachlesen können. Das Argument, daß man erneut über Heisigs Nominierung nachdenken müsse, weil er bei der Waffen-SS gewesen ist, scheint mir von seiten des Beirats nur gegenüber den anderen Dingen vorgeschoben zu sein, die wir in unserem Brief angemahnt haben.
Die Auswahl der KünstlerInnen, die den Reichstag gestalten sollen, spiegelt den politischen Einigungsprozeß sowohl in bezug auf die vier Siegermächte als auch zwischen Ost- und West-Deutschland wider. Wofür steht Heisig in diesem Konzept?
Das habe ich mich auch immer gefragt. Leider gibt es keine vom Beirat festgelegten Kriterien, sondern man betont lediglich drei Akzente: Erstens, die eingeladenen Künstler sollten noch nicht tot sein. Zweitens, sie sollten gut sein, und drittens sollte in ihrer Arbeit ein gewisses historisches Bewußtsein zum Ausdruck kommen. Man kann bei allen eingeladenen Künstlern fragen, ob das nun so vehement in den Werken zum Ausdruck kommt oder nicht. Mich wundert nur, daß man Heisig quasi wie ein Feigenblatt für Staatskunst Ost und Carlfriedrich Claus für nonkonformistische Tendenzen gewählt hat. Das ist ganz durchsichtig, aber darüber wird nicht gesprochen. Umgekehrt hat man Ilya Kabakov als typischen russischen Dissidenten eingeladen, aber eben keinen sowjetischen Staatskünstler dazu.
Für die alte Bundesrepublik ist Gerhard Richter eingeladen, der sich viel mit Nazi-Vergangenheit auseinandergesetzt hat. Hätte man statt Heisig einen Dissidenten als Ost-Pendant einladen müssen?
Ich halte es für einen großen Fehler, deutsche Geschichte in Ost und West retrospektiv zu rekonstruieren, also im Sinne der Ghettosituation in der DDR als Folge der deutschen Teilung. Die ganze Sache ist eben nicht prospektiv angelegt, sondern nur im Blick zurück, ohne die geschichtliche Situation zu bewerten. Aber gerade diese Auseinandersetzung mit deutscher Identität, mit dem Deutschlandbild wäre notwendig gewesen. Von dieser Position aus müßte man auch danach fragen, für welche nachfolgenden Generationen der zukünftige Bundestag eigentlich gestaltet werden soll. Da fehlen ganz eindeutig die Vorgaben und die Diskussion. Statt dessen hat man in unverantwortlicher Weise versucht, die Dinge im kleinen Kreis zu klären, wo doch eine öffentliche Diskussion angebracht gewesen wäre.
Wieso wird nicht über die Qualität der Bilder von Heisig geredet?
Ästhetisch zu urteilen heißt für den Kunstbeirat, lediglich nach dem Prinzip L'art pour l'art zu denken. Aber jede künstlerische Position ist auch eine politische!
Könnte ein Heisig im Reichstag ernsthaft zum Pilgerort für Altfunktionäre werden?
Nein, das glaube ich nicht, aber ein gewisses nostalgisch-ostalgisches Gefühl spielt wohl eine Rolle. Durch den prominenten Platz, der Heisig mit dem Reichstag geboten wird, schreibt man die Kontinuität der großen DDR- Kunstausstellungen und der großen Schaufassaden fort, auf denen die Bilder von Sitte, Heisig, Tübke, Mattheuer oder Womacka hingen. Nun wäre es kein Problem, selbst auf dieser Ebene die Akzente zu verschieben, denn damals hingen auf den DDR-Kunstausstellungen auch hervorragende Bilder von Max Uhlig oder Eberhard Göschel, von Lutz Dammbeck oder Hans-Hendrik Grimmling. Man könnte auch bei den jungen Künstlern ansetzen, etwa bei Via Lewandowsky, der ja die Geschichte ständig in seine Arbeiten hineinzieht und damit auch auf der „Deutschlandbilder“-Ausstellung gezeigt wurde. Aber schon bei den „Deutschlandbildern“ ging es um Ausgewogenheit, als würden wir uns alle wieder am runden Tisch befinden.
Indem man Heisig für den Reichstag mit einbezieht, wird doch der Skandal nicht geglättet, sondern offengehalten. Die Diskussion hat ja sogar dazu geführt, daß Kritiker neben Heisig auch Arno Breker für den Reichstag gefordert haben ... damit die Ambivalenz der deutschen Geschichte wirklich eingelöst wird.
Natürlich könnte man den Reichstag neben Heisig auch mit Breker zuschütten – nur wie erklärt man dann das Holocaust- Mahnmal nebenan? Ich plädiere schon für eine Auswahl und Akzentsetzung, für mich kann die Kunst im Reichstag nicht einfach nur als Dekoration verstanden werden, sie sollte auch einen aufklärerischen Aspekt besitzen, was durchaus in einer deutschen Tradition steht.
Aber hat sich nicht gerade Heisig schon zu DDR-Zeiten am historischen Material abgearbeitet?
Das Material kann doch nicht von dem lavierenden Geist getrennt werden, den es transportiert. Es ist ja nicht nur eine Farbsuppe, die da auf die Leinwand aufgetragen wird – es geht nicht nur um Themen, sondern auch um gemalte Hymnen. Natürlich hat Heisig zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich agiert und ist Täter und Opfer in einem. Aber wenn man nachfragt und feststellt, daß er mit seiner Kunst eine Art Korsettstange des Systems gewesen ist, dann muß diese Haltung unseren Blick auf seine Bilder ändern.
Sie haben bezüglich Heisigs Biographie von einem „schockierenden Totalopportunismus“ gesprochen.
Man muß gar nicht protestantisch-lutherisch reagieren. Man sieht einfach in bestimmten Bildern die Heuchelei vor dem Staat und in anderen die larmoyanten Selbstbezichtigungen. Man kann nun doch nicht heute hingehen und Bilder wie „Lenin und der ungläubige Timofej“ als witziges, ironisches und hintergründiges Opferbild interpretieren, wo es seinerzeit ohne jeden Zweifel als Indoktrinationsbild dekliniert wurde.
Sind Sie enttäuscht, daß Heisig nun allein wegen seiner NS-Vergangenheit diskutiert wird, während man die „bewußt ahistorische 1:1-Präsentation von DDR- Staatskunst“, die Sie in dem offenen Brief kritisiert haben, völlig ausklammert?
Biographien sind zum Glück nicht teilbar. Man wird jemandem, der sich für ein Holocaust-Mahnmal einsetzt, aber nur schwer erklären können, warum ein Künstler, der in der Waffen-SS gedient hat, nebenan im Reichstag hängt. Wenn man daraus allerdings wieder nur Totschlagargumente macht, wäre das auch falsch. Man kann Heisig wegen seiner Nazi- Vergangenheit natürlich still und leise entsorgen, aber es ändert nichts an dem Konflikt, wie man inzwischen wieder mit der Staatskunst aus der DDR umgeht. Auf gar keinen Fall geht es noch zu sagen: Schwamm drüber, und schauen wir uns die schönen Bilder an. Interview: Harald Fricke
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