: Wilmersdorfer Witwen im Charlottenburger Kiez
Serie: Die neuen Bezirke (Folge 6): Die vielen Gemeinsamkeiten der Bezirke Charlottenburg und Wilmersdorf bedeuten für die Bezirksfürsten nur eingeschränkt, daß ein Großbezirk davon profitiert. Dennoch bringt die Fusion stärkeres gesamtstädtisches Gewicht ■ Von Rolf Lautenschläger
An der Oberfläche findet man Gemeinsamkeiten: Charlottenburg und Wilmersdorf bilden den Schwerpunkt im westlichen Stadtgrundriß. Wahlverwandt sind sie am Kurfürstendamm, der nur auf dem Papier eine Grenzlinie zwischen den Bezirken darstellt. Nicht anders verhält es sich entlang der Lietzenburger Straße, die sich Charlottenburg und Wilmersdorf teilen. Die „Stärken“ des jeweiligen Bezirks spiegeln sich im anderen. Kulturelle Einrichtungen, wie Kinos, Theater, Museen und Galerien, touristische Anziehungspunkte oder die ähnlichen gewerblichen und gastronomischen Strukturen ergänzen sich gut. Der Grunewald kommt beiden als grüne Lunge zugute. Und Zentren der Lehre und Forschung, wie die Technische Universität oder das Wissenschaftskolleg, sind charakteristische Parallelen.
Doch seit die geplante Fusion beider Bezirke zu dem zentralen City-West-Bezirk auf der Tagesordnung der Gebietsreform steht, grummelt es unter der Oberfläche gewaltig. Statt Gemeinsamkeiten bestimmen Gegensätze die Sprache der Politiker. Wilmersdorfer Witwen und Charlottenburger Kiez, die unterschiedliche Alters- und Sozialstruktur, der ruhige Grunewald und die hektische „Problemzone“ um den Bahnhof Zoo samt den Plänen von der „Boomtown West“ scheinen wenig kompatibel.
Zumindest gilt das für Michael Wrasmann, Bezirksbürgermeister in Wilmersdorf. „Vorteile in einem Großbezirk kann ich nicht sehen“, sagt der CDU-Mann. Er zählt auf, daß die Bezirksreform strukturell, finanziell und mental „wenig bringt“. Die Sparpotentiale durch die Reduktion der Verwaltungen und der Bezirksparlamente, so Wrasmann, würden „überschätzt“. Denn bürgernahe Strukturen müßten weiterhin aufrechterhalten werden. Und die kosteten Geld und Personal.
Die Konzentration etwa zweier Kunstämter, Musikschulen oder von Bezirksbüchereien auf einen Standort dürfe nicht geschehen. „Wir müssen dafür sorgen, daß es auch nach der Reform nicht weniger Verwaltungen und Institutionen gibt“, betont Wrasmann. Außerdem sei es zweifelhaft, ob die Gebiets- und Verwaltungsreform „gleich spürbare bürgernahe Leistungen“ erbringen werde. Vielmehr bedeute eine Fusion erst einmal, daß die Bezirke und Verwaltungen „lange mit sich selbst beschäftigt“ würden.
Natürlich fürchtet der Bezirk auch um seine Wohlstandspfründen. Geld, das bisher in Projekte, etwa Ausstellungen internationaler Künstler im Kunstamt oder in die Erholungsinfrastruktur gesteckt wurde, könnte angesichts neuer Mittelverteilung verlorengehen. In der jüngsten Liste des Sozialstrukturatlas liegt Wilmersdorf auf Rang 2. Charlottenburg rangiert hingegen auf Platz 16. Problemgegenden wie den Stuttgarter Platz gibt es in Wilmersdorf nicht. Die Arbeitslosigkeit ist niedriger als in Charlottenburg. Dort steht den Haushalten im Durchschnitt 700 Mark weniger zur Verfügung.
Gemeinsame Perspektiven mit Charlottenburg sehen Wilmersdorfer dennoch, erhofft man sich doch ein größeres gesamtstädtisches Gewicht der eigenen Vergnügungs- und Dienstleistungseinrichtungen. So glaubt man in den Galerien und Kinos südlich des Kurfürstendamms, im Sog der kulturellen Attraktivität und im Ausbau wirtschaftlicher und touristischer Zentren Charlottenburgs besser mitschwimmen zu können. Für Galeristen rund um die Pariser Straße bedeutet dies, „im Konkurrenzkampf mit der neuen Kunstmeile Auguststraße in Mitte“ nicht nur zu überleben, sondern den westlichen, traditionellen Kultur- Gegenpol zu stärken.
Genau diesen Ausbau der Standortvorteile für Investitionen und kulturelle Einrichtungen hat auch Helmut Heinrich, stellvertretender Bezirksbürgermeister in Charlottenburg, im Auge, wenn er der Fusion das Wort redet. Im Unterschied zur BVV Charlottenburg, die gegen eine Zusammenlegung votierte, glaubt der CDU-Politiker, daß „die Strukturveränderungen zu mehr Kompetenz, Eigenständigkeit der bezirklichen Verwaltungen und vor allem zu mehr finanziellem Spielraum führen wird“.
Die Fachaufsichten über bestimmte Ressorts würden gestärkt. Die Chance, Mittel und politische Instrumente „besser und schneller“ einsetzen zu können, „wird uns gemeinsam schlagkräftiger machen“, betont Heinrich.
Profitieren vom „vernünftigen Zusammenwachsen“ könnte der Großbezirk etwa im Bereich der Wirtschaftsförderung, der Investitionsentscheidungen und kulturellen Standortsicherung – etwa nach dem Verlust der Filmfestspiele an Sony am Potsdamer Platz. „Das kann mit Wilmersdorf abgefangen werden“, sagt der Vizebürgermeister.
Nicht so euphorisch geben sich dagegen die Stadträte für Bauen, Beate Profé (Bündnis 90/Die Grünen), und der Sozialstadtrat Udo Maier (SPD). Besonders für Maier und die SPD-Fraktion verbindet sich mit dem „Kraftakt der Bezirksreform“ nur Negatives. Große Einsparungen würde die Bezirksehe mit Wilmersdorf nicht bringen, ebenso nur wenig Verringerung beim Personal in den Fachverwaltungen oder gar die vielgepriesene Demokratisierung.
„Wirkliche Bürgernähe bedeutete, daß erst einmal die Dezentralität gestärkt wird“, meint Maier. Statt dessen befasse sich die „Schaffung eines Großbezirks zunächst mit der Konzentration von politischen Institutionen und Personal“ – um diese in einem späteren Schritt wieder, etwa durch „Bürgerbüros“, zu entflechten.
Für Maier ebenso wie für Wrasmann ist besonders bedenklich, daß die Fusion der „Identität des Bezirks und Identifikation mit den bezirklichen Eigenheiten“ (Maier) schaden wird. Charlottenburg und dessen lange Geschichte, sich eigenständig zu behaupten, der Bezirk mit seinem spezifischen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen „Mix“, verliere durch die Vergrößerung zwar nicht an Charakter, „aber an Tradition“.
Gemeint ist mit dem Verlust an Tradition wohl ebenso ein politischer. Denn spannend wird nach dem neuen Zuschnitt auch die politische Konstellation im Bezirksamt. Derzeit ist die CDU jeweils die stärkste Fraktion in den Rathäusern in Wilmersdorf und Charlottenburg. Doch in Charlottenburg regiert mit den Stimmen der Grünen eine SPD-Bürgermeisterin.
Die könnte es, ebenso wie ihr CDU-Kollege in Wilmersdorf, schwer haben, sich nach der Fusion wieder zu behaupten. Auch das sind Gemeinsamkeiten, wenn auch mit unterschiedlicher Perspektive.
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