: Netzbürger wählen nicht
■ Für Politik im Internet interessieren sich deutsche Parteien kaum. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat trotzdem darüber diskutieren lassen
Die Medientechnik verhalte sich neutral, behaupten Soziologen bisweilen. Dies klingt überzeugend, da alles mögliche gedruckt oder gesendet werden kann, Schönes genauso wie Schund. Der Eindruck prinzipienloser Neutralität bestätigt sich noch, wenn man die Liste jener Themen sichtet, die politisch polarisieren. Darauf stehen von der Atomkraft bis zur Gentherapie allerhand Techniken, über die nicht neutral zu verhandeln ist. Das Internet jedoch fehlt in diesem Katalog.
Zur Veranschaulichung politischer Gegensätze scheint eine Technik tatsächlich nicht zu taugen, über deren Rolle in der Weltgesellschaft jede Woche ein Kongreß stattfindet und alle zwei Wochen ein Sammelband erscheint. Jede Partei ist dafür: Republikaner und Demokraten, Newt Gingrich und Al Gore, Libertäre und Neoliberale. Nicht einmal eine Splittergruppe fordert den Ausstieg aus dem weltweiten Netz. Auch ein Wahlkampfthema ist das Internet hierzulande nicht. Niemand verspricht, die Jugend vor den überseeischen Porno- oder Nazi-Sites zu schützen. Und niemand kämpft dafür, den Datendurchsatz des Information Highway endlich auf 200 Megabyte pro Sekunde zu erhöhen. Alle Parteien nutzen die neue Technik lediglich zur Verbreitung ihrer Programme.
Auf der ersten Fachkonferenz der Reihe „Innovation durch Telekommunikation“ über „Internet und Politik“, welche die Konrad- Adenauer-Stiftung in Bonn veranstaltet hat, war denn auch über den möglichen politischen Charakter des Netzes nur wenig zu erfahren. Zwar wurde durchweg betont, daß das Internet Unterschiede mache: etwa bestimmte Bildungs- und Einkommensgruppen ausschließe, von Frauen kaum freiwillig benutzt werde, in manchen Regionen nicht zur Verfügung stehe. Aber daraus ergäben sich keine parteipolitischen Konsequenzen. Denn keine Partei sei ja für den Ausschluß unterer Schichten aus der Informationsgesellschaft oder gegen die Erhöhung des Frauenanteils im Netz.
Schon gar nicht die CDU, sie darf auf informationellen Kompetenzgewinn hoffen. Die Hauptreferenten Bruce Bimber (Santa Barbara) und Otfried Jarren (Zürich) betonten in ihren Vorträgen unisono, daß das Internet vor allem schon bestehenden, gutorganisierten Gruppen ein Instrument an die Hand gebe, das ihre Außenwirkung, die Effizienz ihrer Binnenkommunikation wie auch ihre Fähigkeit zur Reaktion auf soziale Veränderungen optimiere. Allein special interest, pressure oder issue groups wie Wirtschafts- und Umweltverbände, Gewerkschaften, Parteien, Stiftungen oder etablierte Bürgerrechtsbewegungen seien in der Lage, ihre Websites so attraktiv zu gestalten und ständig zu aktualisieren, daß sie Aufmerksamkeit erregen. Nur sie könnten ein Intranet außerdem so ausbauen, daß es tatsächlich einen organisatorischen Mehrwert abwirft. Randgruppen aller Art mögen zwar eine Homepage einrichten, doch bleiben deren Zugriffszahlen meist marginal.
Wer schon Einfluß hat, kann ihn mit dem Internet noch erhöhen. Bimber erteilte allen Hoffnungen eine klare Absage, das Internet führe – den Zugang vorausgesetzt – zu einer höheren politischen Partizipation, einem größeren Engagement und damit zu einem steigenden Einfluß der User auf Entscheidungen. Dem User werde damit eine politische Motivation unterstellt, die aber keinesfalls bestehe. Denn anders als Institutionen hätten „die meisten Bürger an den meisten Themen meistens kein Interesse“. Und weil die Anonymität der digitalen Kommunikation persönliches Vertrauen kaum entstehen lasse, entstünden auch keine virtual communities, die mit echten Gemeinschaften des unmittelbaren Umgangs zu vergleichen seien.
Auch Jarren meinte, daß gemeinsame Interessen bestenfalls zu kurzfristigen Allianzen im Netz führen könnten, nicht aber zu wirkungsmächtigen sozialen Organisationen, deren Existenz den Wechsel von Mitgliedern und Themen zu überdauern verstünde.
Die verschiedenen Beschreibungen der Möglichkeiten und der weiteren Entwicklung des Internets verhalten sich allerdings zu den Programmen unserer Parteien keineswegs neutral. Diejenigen etwa, die in der dezentralen technischen Struktur des Netzes besondere Chancen für basisdemokratische, graswurzelartige Politikelemente sehen, müßten den traditionellen Volksparteien eigentlich ein Dorn im Auge sein. In dem von Thomas Zittel (Mannheim) vermuteten Umstand, daß das Internet zu einer Verlagerung politischer Entscheidungen von der repräsentativen zur plebiszitären Demokratie führt, liegt durchaus Sprengstoff. Dieser Wandel würde die Interessenpolitik der großen Verbände und Lobbyisten nachhaltig unterminieren. Auch in der These von Michael Mertes (Bundeskanzleramt), daß die Raumlosigkeit des Internets die Grenzen des Nationalstaates attackiere und diesem auf seinem Territorium womöglich nur noch das Gewaltmonopol überlasse, während die kulturellen Voraussetzungen des Begriffs der Nation im globalen Cyberspace verschwinden, steckt ein Politikum für Anhänger wie Gegner des Nationalstaates. Vorläufig scheinen sich aber die Parteien für diese politische Dimension nicht zu interessieren. Ausgerechnet Bayern fördert den Ausbau von Bürgernetzen auf kommunaler Ebene, und ausgerechnet das Bundeskanzleramt will sich dafür einsetzen, die bisher nur schwer erhältlichen Dokumente politischer Arbeit (Anträge, Protokolle) im Internet zugänglich zu machen. Man hätte etwas anderes erwartet. Niels Werber
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