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Mit Propaganda gegen das Feuer

■ Tausende von Einzelbränden haben im brasilianischen Amazonasbecken weite Regenwaldgebiete verwüstet. Schon im November hatte die UNO Hilfe zugesagt. Brasiliens Regierung aber mauerte bis zuletzt Aus Rio de J

Mit Propaganda gegen das Feuer

Letztes Jahr schaute die Welt wie gebannt auf die Feuersbrunst in Südostasien. Zur selben Zeit jedoch loderten die Feuer in Amazonien bereits weit heftiger. Und sie vernichteten weitaus mehr Vegetation. Seit November brannte es auch im brasilianischen Bundesstaat Roraima bedrohlicher, die Katastrophenhilfe der Vereinten Nationen reagierte sofort: Die UNO bot Brasiliens Staatschef Fernando Henrique Cardoso Löschflugzeuge und Experten sowie jede erdenkliche Unterstützung an.

Doch der zuständige Umweltminister Gustavo Krause ließ zwei UNO-Anfragen unbeantwortet. Der WWF, Greenpeace und die brasilianischen Umweltorganisationen verstanden die Welt nicht mehr. Indessen ließen sie gemeinsam mit kirchlichen Menschenrechtlern und Indianerorganisationen nicht nach, weltweit auf die sich abzeichnende Katastrophe hinzuweisen. Inzwischen ist die Weltpresse in Roraima versammelt, das Desaster läßt sich nicht mehr verheimlichen.

Nun soll die UNO auf einmal doch helfen, die Brandbekämpfung ebenso koordinieren wie Lebensmittel- und Medikamententransporte zu den Stämmen der Yanomami, Macuxi und Wapixana. Denn bisher erzeugte die Regierung Cardoso zwar einen dichten Propaganda-Rauchvorhang, kündigte Maßnahmen wie die Freigabe enormer Geldmittel an. Doch der Gouverneur von Roraima, Neudo Campos, konstatierte gestern bitter: „Bisher kam hier kein einziger Centavo an, wir brauchen Spezialisten und Ausrüstung, sonst ist der Kampf verloren.“

Theoretisch müßten die Hubschrauber Brasiliens, Venezuelas und Argentiniens einiges leisten. Sie könnten ununterbrochen Wasser über die Brandherde schütten. Tatsächlich aber steigen die Maschinen schon seit Tagen kaum noch auf, weil der Rauch einfach zu dicht ist.

Wieviel Regenwald und Savanne bislang tatsächlich vernichtet wurden, ist nicht präzise auszumachen: minimal die Fläche der Schweiz, maximal die Österreichs. Für Biologen ist der Umweltschaden im Grunde unkalkulierbar, zumindest bis auf weiteres. Denn in Roraima befinden sich einzigartige Naturreservate. In so gut wie alle frißt sich derzeit das Feuer vor.

Inzwischen bekämpfen Löschtrupps der angrenzenden Staaten Venezuela und Guyana auch Brandherde auf ihrem eigenen Territorium. Bislang ist unklar, ob das Feuer übergegriffen hat oder auch dort, wie in Amazonien, Viehzüchter, Klein- und Großagrarier trotz der durch El Niño begünstigten extremen Dürre nicht auf die üblichen Brandrodungen verzichten wollten. Unklar ist zudem, ob man die Flammen dort genauso ineffizient bekämpft wie auf brasilianischer Seite. Einen Tag nach angeblich erfolgreichen Löschaktionen brachten die dortigen Zeitungen Aufnahmen von Waldgebieten: Hohe Bäume, Unterholz – alles hatte sich erneut entzündet, Flammen loderten zig Meter hoch, vollendeten ihr Zerstörungswerk. Da ist es leicht nachvollziehbar, daß die Feuerwehrleute wegen der Hitze an die größten und gefährlichsten Brandherde gar nicht herankommen.

Flüsse und Bäche sind ausgetrocknet, Löschwasser steht nicht zur Verfügung. Inzwischen schießen sich die brasilianischen Medien zaghaft auf den gelernten Soziologen und schwerreichen Großgrundbesitzer Cardoso ein. Sie kritisieren den Präsidenten und monieren die monatelange Untätigkeit der zuständigen Regierungsstellen. Zudem erinnern sie daran, daß Amazonien in Cardosos Amtszeit auch wegen Todesschwadronen, Massakern an Landlosen und Folterungen von Gefängnisinsassen in die Schlagzeilen geriet.

Brasiliens renommiertester Umweltschützer, Roberto Smeraldo, sieht als Folge von Cardosos Passivität Böses voraus: „Roraima ist nur der Auftakt einer Tragödie. Dieses Jahr sind in Amazonien Brände möglich wie nie zuvor.“

Fernando Henrique Cardoso wickelt seine Kritiker in der Regel mühelos um den Finger. Seine Taktik, Kritikern inhaltlich recht zu geben, für ihre Einwände zutiefst zu danken, entwaffnet, macht Eindruck. Und dann werden bombastische Projekte, neue Gesetze zum Schutze der Umwelt, der Indianer, der Menschenrechte wortreich erläutert. Das schindet Eindruck. Brasiliens WWF-Direktor Garo Batmanian fällt auf solche Sprüche nicht herein. Er erklärte wiederholt, daß im Gegensatz zu Cardosos Versprechen die Brandrodungen stetig zunähmen, Umweltschutz für die Regierung keine Priorität habe, weil dafür der politische Wille fehle.

Aber war da nicht jenes G-7-Pilotprogramm zum Schutze der Amazonaswälder, dessen sich die Bundesregierung als Hauptfinanzier so sehr rühmt? Laut Batmanian ist von den deutschen Geldern der größte Teil gar nicht eingesetzt worden, was selbst die Weltbank bestätige. Zudem sei das Programm nur ein Pilotprojekt – und völlig in Verzug. Präsident Cardoso wird bei der Amazonasvernichtung in die Geschichte eingehen, sich dabei aber vermutlich mit dem Hinweis auf fehlende Mittel herauszureden versuchen. Das lassen auch Mitarbeiter von Entwicklungsprojekten schon lange nicht mehr gelten; Brasilien ist schließlich die achtgrößte Wirtschaftsnation.

Cardoso amüsierte im vergangenen Jahr bei einem Folgetreffen des Rio-Umweltgipfels von 1992 Umweltexperten mit der Bemerkung, man wisse zwar, was in Amazonien passiert, doch dort sei der Staat leider kaum präsent, die öffentlichen Kontrollinstanzen seien unfähig, den Gesetzen Geltung zu verschaffen. Dabei ist fast allseits bekannt, daß in Amazonien bekanntermaßen rechtsgerichtete, umweltfeindliche Bündnispartner und Intimfreunde Cardosos am Ruder sind, auf deren Unterstützung der Präsident angewiesen ist.

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