: „Verhungere oder hau ab“
■ Das Leistungsgesetz zwingt Asylbewerber unter das Existenzminimum, so der Berliner Ex-Bürgermeister und Rot-Kreuz-Chef, Klaus Schütz (SPD)
taz: Herr Schütz, Sie waren zehn Jahre lang Berlins Regierender. Jetzt geht von Berlin die Initiative zur Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes aus.
Klaus Schütz: Ich verstehe wirklich nicht, weshalb ausgerechnet Berlin so etwas initiiert. Da kann mich nicht überzeugen, daß das Land auf seine finanzielle Situation verweist. Es ist ein Skandal, daß so ein Gesetz überhaupt behandelt wird und daß so etwas von Berlin kommt.
Was ist der Skandal?
Daß man nicht sieht, daß es sich hier um eine kleine Gruppe von Menschen handelt, die keine Lobby hat. Sie haben niemanden, der für sie aufsteht und schreit, und jetzt werden sie rausgetrieben – nicht mit polizeilichen Maßnahmen, sondern indem man sie aushungert. Das halte ich für schwer erträglich und von denen, die das zu verantworten haben, für völlig unüberlegt.
Das Gesetz wird damit begründet, es treffe Ausländer, die illegal hier leben und nur Sozialhilfe abkassieren wollen.
Der Begriff des Illegalen ist, soweit er mit einem schlechten Ruf behaftet ist, inakzeptabel. Tatsächlich geht es doch um Menschen, die hier geduldet sind. Sie sind ausreisepflichtig, das stimmt, aber es trifft die Ärmsten. Und ich halte das Mittel, das man wählt, um sie hinauszudrängen, für das untauglichste, das ein Rechtsstaat anwenden darf. Man zwingt die Menschen in die Alternative: Entweder verhungere oder hau ab.
Welche Konsequenzen wird das Gesetz haben, wenn es in seiner jetzigen Form verabschiedet wird?
Ich gehe nicht davon aus, daß die Menschen in ihre Heimatländer zurückgehen können, denn das ist in den meisten Fällen eine Frage von Leib, Leben und Freiheit. Die Menschen werden irgendwo in Deutschland bleiben und all die Probleme schaffen, die Gesetzlosigkeit mit sich bringt, wie Kriminalität. Es wird einen Druck auf die Hilfsorganisationen geben, die sich schon um diese Menschen kümmern, und die werden nicht in der Lage sein, diesen Druck aufzufangen. Der Staat wickelt das Problem ab auf Kosten der nichtstaatlichen Hilfsorganisationen.
Die Gesetzesverschärfung hat den Bundesrat mit Zustimmung der sozialdemokratisch regierten Länder passiert, an deren Spitze stehen Ministerpräsidenten Ihrer Partei.
Ich habe das mit Schrecken gesehen. Wenn jetzt das Gesetz im Bundestag verhandelt wird, befürchte ich das Schlimmste. Ich rate meinen Parteikollegen dringend, das abzulehnen. Der Staat muß nach anderen Mitteln suchen, bestimmte Grenzen, die ich ja auch bereit bin zu akzeptieren, durchzusetzen. Interview: Vera Gaserow
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