: Let's putz – kollektive Kehrwoche in Schwaben
Ein Fall von Putzwahn: Tausende von BürgerInnen schwingen in Stuttgart eine Woche lang freiwillig den Besen ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier
Stuttgarts 120 Müllwerker sind beleidigt und mit ihnen viele der treuesten Bürger dieser Stadt. „Das ist infamste Ehrabschneidung“ heißt es aus ihren Reihen. Doch was ist geschehen? „Let's Putz“ fordern schon seit Wochen große gelbe Plakate überall in der Stadt. Ein Förderverein „Sicheres und sauberes Stuttgart“ war unter der Schirmherrschaft des hiesigen Oberbürgermeisters eigens dafür ins Leben gerufen worden, die schwäbische Metropole von Schmutz und Unrat zu befreien.
Eine kollektive „Kehrwoche“ ist angesagt, Besen, Müllsäcke und Sicherheitshandschuhe liegen massenhaft bereit. Mit Tausenden von Unterschriften ehrenamtlicher Saubermänner erhofft sich die Stadt einen markanten Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. „Was glaubt dieser Oberbürgermeister eigentlich, daß wir seit Jahrzehnten tun“, fragen die Müllwerker jetzt empört. Und eine brave Schwäbin, die vorgibt, noch nie in ihrem Leben die obligate schwäbische „Kehrwoche“ vernachlässigt zu haben, fordert in einem Leserbrief verärgert, das Stadtoberhaupt möge besser vor seiner eigenen Türe kehren und den eigenen Stall ausmisten, bevor er seine Bürger zur Sauberkeit aufrufe. Es half alles nichts.
Seit vergangenem Mittwoch wird in Stuttgart gefegt, daß die Besen glühen. Noch sieht man trotz all dem aufgewirbelten Staub den Fernsehturm, moserte eine Zeitung, um weitere besenschwingende Kräfte zu mobilisieren. Ladenbesitzer einer ehedem verdreckten Einkaufspassage gehen bereits wieder auf Distanz zum verordneten Sauberkeitsfanatismus. Mit brachialer Gewalt hatten die Mannschaften eines großen Herstellers von Kampfhochdruckreinigungsmaschinen den klebrigen Unrat zwar vom Asphalt, aber zugleich auch ins Innere ihrer frischgewienerten Boutiquen gespült.
Stuttgarter Kunststudenten haben für den kommenden Sonntag auch bereits eine ganz besonders pfiffige Aktion zur Neugestaltung der Stuttgarter Umwelt angedroht. Mit dem Abladen großer Mengen Frischmüll sollen all die blankgeputzten Reviere zur langfristigen Erinnerung an „Let's Putz“ markiert werden.
Andere erinnern derweil nostalgisch an eine für schwäbische Verhältnisse geradezu revolutionäre Stadtverordnung aus dem Jahre 1988. Damals nämlich hatte Stuttgarts ehemaliger OB ein gesetzliches Diktat aus dem 15. Jahrhundert aufgehoben, nach dem Gehsteige und Straßenrinnen auch dann wöchentlich und gründlich zu säubern waren, wenn sich kein Staubkorn dort verfangen hatte.
Viele hatten nach dieser gelinden Lockerung der schwäbischen „Gassenordnung“ aufgeatmet. Zu früh.
Der Putzwahn ist ausgebrochen: Auf einer eigens dafür errichteten Leuchttafel erscheinen seit Mittwoch die steigenden Zahlen freiwilliger Putzkolonnen. 2.700 erst, dann 4.500 am Donnerstag und bis zum krönenden Abschluß mit Putzteufelfest vor dem Rathaus sollen es gut 8.000 sein. Schildmützen, die alle Aktiven als solche schmücken, sollen nach Angaben der Stadtverwaltung noch reichlich vorhanden sein. Uwe Kröger etwa, der derzeitige Musicalstar in Walt Disneys Singspiel „Die Schöne und das Biest“ hat sich bereits besenschwingend verdient gemacht.
Eine Stuttgarter Versicherungsgruppe, die Deutsche Industriewartung und die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe, so heißt es im Rathaus, hätten sich in herausragender Weise für die Aktionstage eingesetzt. Eine große Stuttgarter Zeitung vermeldet, daß sich ihr altersgebeugter Chef vom Dienst gar auf allen vieren aufgemacht habe, um einen Papierschnipsel, der nicht dorthin gehörte, unter dem Konferenztisch der Redaktion wegzuschaffen.
Schulen, Vereine, Hausgemeinschaften und Kegelclubs hatten sich für ein besenreines Stuttgart verpflichtet. Der Andrang putzwütiger Bürger war so groß, daß Stuttgarts fescher Oberbürgermeister Wolfgang Schuster die Bürger in einem Aufruf dringend darum bat, sich bei all dem Eifer nicht unnötig in Gefahr zu begeben: „Lassen Sie gebrauchte Einwegspritzen dort liegen, wo sie sind“, heißt es da, „und melden Sie es hinterher unseren sachkundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Amts für Abfallwirtschaft und Stadtreinigung. Informieren Sie unsere Spezialisten.“
Die Stuttgarter Müllwerker lächeln bei all der Aufregung vor Milde und Nachsichtigkeit. Unrat, wissen sie aus Erfahrung, verschwindet niemals, er verändert nur seinen Standort: „Die Hinterlassenschaften der samstäglichen ,Let's Putz‘-Fete sind ja dann wieder unsere Angelegenheit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen