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■ QuerspalteDas letzte Tabu

Wer behauptet, in unserer Gesellschaft gebe es keine Tabus mehr, denkt dabei an Sex. Das ist menschlich verständlich, hier aber geht es ausnahmsweise mal nicht um Körperliches, sondern um unser tatsächlich letztes Tabu. Obszön, nur selten traut sich jemand, darüber zu sprechen – so wie jetzt der Chemiekonzern BASF bei der Vorstellung des neuen Geschäftsberichts. Der Vorstandsvorsitzende Jürgen Strube kommentierte. Das Tabu, an dem Strube mutig rüttelte, ist die Frage: Gibt es die Arbeit überhaupt noch? Ja, ist nicht das, was die BASF-Büroangestellten den ganzen Tag machen dürfen, am Computer spielen und mit den Kollegen plaudern, überhaupt noch Arbeit? Ist das Hin- und Herschalten von Hebeln, das Beobachten der Mischmaschinen durch Facharbeiter überhaupt noch Arbeit oder vielmehr nicht eine Art Konzentrationsübung mit gleichzeitiger körperlicher Ertüchtigung? Schließlich ist es doch nur der Arbeitslose, dem seine Situation zu „schaffen“ macht?!

Die BASF hat ihre Dividende in fünf Jahren verdoppelt, den Gewinn verfünffacht und die Belegschaft um ein Viertel geschrumpft. Wie es heute so geht. Auf den Vorwurf, der Konzern habe nur „shareholder value“ im Sinn, verteidigte sich jedoch Vorstandschef Strube: Für die Aktionäre habe es doch im ganzen vergangenen Jahr nur schlappe 1,2 Milliarden Mark gegeben. Die Beschäftigten kassierten hingegen 11,3 Milliarden Mark. 11,3 Milliarden! Das zehnfache Geld, die zehnfachen Milliarden tragen die BASF-Arbeiter nach Hause! Und sich dann noch beklagen, es ginge nur um die Aktionäre! Da konnte einer nicht rechnen. Strube, du hast recht. Und endlich das letzte Tabu in unserer Gesellschaft angesprochen: Die Arbeit hat nicht einfach an Wert verloren, wie Sozialdenker immer beklagen. Wir haben eine höhere zivilisationsgeschichtliche Stufe erklommen: Die Arbeit gibt es nicht mehr. Was logisch bedeutet, daß auch die Arbeit-Geber nicht mehr existieren. Strube, du hast dich selbst abgeschafft! Dazu gehört schon was. Gaby Streckfuß

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