Atomisierte im Lesebahnhof

■ Hamburger AutorInnen auf der Leipziger Buchmesse: die großen kamen nicht, die jüngeren fanden sich kaum im Gewusel

„Leipzig liest“stand überall geschrieben. Doch wem hört es zu? Den bekannten Hamburger AutorInnen jedenfalls nicht, nicht Raddatz noch Rühmkorf, nicht Helfer noch Kronauer. Denn die lasen nicht auf der Leipziger Buchmesse.

„Das hier ist halt nicht Frankfurt und auch nicht Frankfurt II“, sagt Lutz Kettmann, Vertriebsleiter des Rowohlt Verlags, „weniger Medien, weniger Geschäft, der Schwerpunkt auf Osteuropa und viel Interesse an den Neuen Ländern – da kommen einfach viele AutorInnen nicht.“

Die meisten sehen die lokale Trennung von Innenstadt und Neuer Messe als Verlust für die Atmosphäre. Yoko Tawada ist zwar fasziniert vom „Science-fiction-Gebäude“der Neuen Messe, doch auch sie liest lieber im kleinen Rahmen. Seit 1982 lebt die Japanerin in Hamburg, schreibt in beiden Sprachen. In der Halle 3 beginnt sie japanisch, ein verdutztes Publikum lauscht den anderen Klängen.

Übersetzung oder Erklärung liefert auch Natasza Goerke nicht. Die Polin, 38, lebt fast so lange wie Tawada an der Elbe, doch schreibt sie nur in ihrer Muttersprache, kein Bedürfnis nach einem zweiten Ausdruck, „zu spät“. Selber erst eine Stunde vor der Lesung angekommen, erinnert sie der rege Betrieb der luftig-offenen Messehallen an einen Bahnhof.

Eher aus Zufall stoßen Texthungrige auf Stefan Beuse. Der liest unangekündigt in einer gut gefüllten Kellerbar von Morrison's Pub. Er beginnt zu lesen, nicht gut, aber sein Ton läßt verstummen: Dieses fast trotzige Absenken der Stimme am Ende jedes Satzes zieht magisch in die einfach strukturierten Erzählungen hinein. Witz und Melancholie werden geliefert, am Ende hat er einige Bücher verkauft und signiert.

In einer Kirche spielt Frederike Frei ein Spiel mit dem Tod. Der Monolog „unsterblich“, den die Lyrikpreisträgerin der Stadt Hamburg vorträgt, hallt über die Rundbänke, die Leute sind beeindruckt von der freien Energie. Ihr Text findet sich ebenso wie die Anthologie Hamburger Ziegel am Stand E 107. Der ist halb so groß wie jener Rowohlts, und trotzdem ist dort ein halbes Dutzend Hamburger Verlage versammelt, denn die kleinen und mittelgroßen Verleger teilen sich die Standmiete. Gibt es Verbindungen darüber hinaus? „Nein, eigentlich kaum“, sagt Andreas Schäfler von der Edition Nautilus, „die Programme ergänzen sich aber ganz gut.“Ein „Hamburger Zimmer“, nach dem Vorbild der Berliner, könnte er sich durchaus vorstellen; „dann müßten aber alle Hamburger Verlage eine Veranstaltung anbieten“. Und einen Leseort mit Aura suchen. Das wird schwer in den neuen Hallen.

Søren Harms