: Nahverkehr verliert an Boden
■ Gutachten des DIW: Bis 2015 verlieren BVG und S-Bahn acht Prozent ihrer Kunden. Der wirtschaftliche Druck auf den ÖPNV steigt, Preiserhöhungen vergraulen die Fahrgäste
Der Niedergang des öffentlichen Nahverkehrs in der Region Berlin-Brandenburg geht auch in Zukunft weiter. Der Trend zur Stadtflucht wird nicht gestoppt. Zwischen 1995 und 1997 haben Busse in Bahnen im Stadtgebiet zehn Prozent ihrer Fahrgäste eingebüßt, bis zum Jahr 2015 „verliert der ÖPNV insgesamt acht Prozent seines Aufkommens in der Region“. Das ist das Ergebnis eines Verkehrsgutachtens, das das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für die BVG erstellt hat.
Die Entwicklung von Berlin und Umland folgt demnach einem „Zersiedelungsszenario“ – „mit rückläufiger ÖPNV-Nachfrage und zunehmendem Kraftfahrzeugverkehr“. Auch in den nächsten 17 Jahren werden nach den Prognosen des DIW die Arbeitslosigkeit hoch bleiben, die Bevölkerungszahl Berlins bei 3,4 Millionen stagnieren und die Menschen aus der Innenstadt ins Umland abwandern. Immer mehr Menschen werden ein Auto haben, womit sich Berlin westdeutschen Großstädten angleicht: In der Stadt werden auf 1.000 Einwohner nicht mehr 460 Autos kommen wie jetzt, sondern dann 630 – ein Zuwachs um fast ein Drittel, im Umland sogar um 50 Prozent. „Die mit dem Auto zurückgelegten Wege werden um gut ein Zehntel, die Personenkilometer um gut ein Drittel und die Fahrleistung um reichlich zwei Fünftel steigen.“ Bereits heute machen Pkw den Löwenanteil am Verkehr aus: „Das Auto hat mit 44 Prozent den größten Anteil am Verkehrsaufkommen, gefolgt vom ÖPNV mit 27 Prozent, den Wegen zu Fuß mit 22 Prozent und dem Radverkehr mit 6 Prozent.“ Da der Verkehr dichter wird, werde sich die durchschnittliche Reisezeit erhöhen, dadurch gebe es Umsteiger vom Auto auf den ÖPNV. Doch diese Umsteiger können nach den Berechnungen des DIW die Verluste des ÖPNV nicht ausgleichen.
Der Trend geht zum Auto, besonders im Ausbildungs- und Freizeitverkehr verliert die BVG weiter kräftig Kunden. „Der öffentliche Verkehr gerät durch die drohenden Fahrgastverluste unter zunehmenden wirtschaftlichen Druck, in dessen Folge die jetzige Angebotsqualität bedroht ist“, lautet das Fazit des DIW. Da in immer mehr Familien Autos verfügbar sind, seien „zunehmend mehr Verkehrsteilnehmer nicht auf den ÖPNV angewiesen“, heißt es. Das DIW widerspricht ausdrücklich der Meinung im BVG-Vorstand, Preiserhöhungen hätten keine Auswirkung auf die Zahl der Fahrgäste: Der Rückgang der Kunden lasse sich „nicht nur durch die Bevölkerungsverluste und die schon seit längerem hohe Arbeitslosigkeit erklären. Auch Angebotsverschlechterungen, Komforteinbußen und vor allem die drastischen Preissteigerungen haben zu dieser Entwicklung geführt.“ Bernhard Pötter
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