: Brandmale von heißem Stahl
Da zischt die Haut und rinnt das Blut: Körperverschönerung mittels Verbrennung und Narben ergänzt das immer normalere Piercing. Bei der Eröffnung des body-temple war dabei: ■ Elke Eckert
Das Skalpell fährt blitzschnell an der frischrasierten Haut entlang. Ein Viereck, zwei Dreiecke, zuerst sind nur weiße Striche zu sehen, dann rinnt das Blut das Bein hinunter. Kein Horrorvideo, keine Foltermethode, sondern der letzte Schrei auf dem Markt der Körperverzierungen: Bei der „Scarification“ lassen sich KundInnen künstliche Narben beibringen. Der gestern eröffnete body-temple in der Nollendorfstraße ist eine seltsame Mischung aus Juwelierladen und Arztpraxis.
Geschäftsführer Eric Bignolet, selbst mit Tätowierungen und diversen Ringen verziert, kommt ins Schwitzen. Perlen bilden sich auf dem kahlrasierten Schädel, während er eine Handvoll grober Salzkörner aus einer Schale nimmt und auf die frische Wunde reibt. „Damit es nicht so schnell zusammenwächst und eine richtige Narbe hinterläßt“, wird fachkundig erklärt. Der Proband, der soeben unbetäubt mit einem Runenzeichen für Ausgeglichenheit verziert wurde, sieht noch ganz frisch aus.
Geschäfte für Tätowierungen gibt es in Berlin inzwischen wie Sand am Meer. Aber alteingesessene Läden wie die „Tattoo-Connection Berlin“ bieten die neuen Narbenmethode und auch Branding („Brandmarken“) nicht an. Dafür sind die neuen Methoden noch zu sehr mit dem Makel der Sadomaso-Szene behaftet.
Damit soll jetzt Schluß sein. Der 36jährige Bignolet sieht die neue Selbstverstümmelung auf dem Siegeszug – so wie Piercing vor fünf Jahren. Einige kleine Tattoo-Läden bieten die Neuheiten seit ein, zwei Jahren an. Für ihn sind die Kunden, die sich mit 1.200 Grad heißen Stempeln aus Stahlblech ein Brandmal verpassen lassen, „sehr naturverbunden“. Branding und Scarification komme aus der Tradition der Körperverzierungen afrikanischer Naturvölker.
Anita, mit bravem Pagenkopf, züchtig-weißem Spitzenbody und schwarzer Bundfaltenhose, paßt mit ihrem Ehemann Peter dagegen so gar nicht in die Szene der braungebrannten Schwulen und gepiercten Kurzhaarlesben. „Alles fing aus einer Sektlaune heraus an“, leitet Peter die Geschichte über den Tag ein, der ihr Eheleben veränderte. Eigentlich wollte die 25jährige Anita sich nur den Bauchnabel piercen lassen. Aber dann brauchte Eric auf der Erotica in Potsdam ein Vorführ-Modell auf der Bühne. Vor achtzig Zuschauern und laufenden Kameras ließ Anita sich mit dem Skalpell einen Pfeil in den Hintern ritzen. „Das hat kaum weh getan. Na ja, drei Tage lang konnte ich auf der rechten Seite nicht sitzen.“ Die sechsjährige Tochter fand jedoch besonders die gepiercte Brustwarze schön: „Mami, mach dir doch auf der anderen Seite auch so einen Ring rein!“ soll sie laut stolzer Mutter gesagt haben. Und der fünfjährige Sohn fragte Daddy, ob sein Ring beim Pullern nicht weh tue. „Der Prinz-Albert-Ring“ wird, so Peter fachmännisch, „durch die Harnröhre eingeführt und kommt hinter der Eichel wieder raus“. „Nach sechs Jahren Ehe mußte mal was Neues her“, gestehen beide glücklich lächelnd. Und daß das auch bei den Brustwarzen „echt abgeht“, das demonstriert Peter, indem er Anita leicht über den Pulli streicht. Sie verdreht die Augen und markiert einen leichten Seufzer. Leider habe sich sein Prinz entzündet, so daß er den Ring inzwischen wieder herausnehmen mußte, so Peter. Aber vor der Vitrine suchen die beiden schon nach neuem Intimschmuck. Anita läßt sich bei der Gelegenheit schon mal die andere Brustwarze piercen. Ihr Töchterchen wird sich freuen.
body-temple, Nollendorfstr. 24, 10777 Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen