: Coming online: Netz für jedes Geschlecht
■ Der Orden der Mutter Johanna Indulgentia will die ganze Welt jetzt über das Internet von Aids befreien. Auch in Deutschland haben zahlreiche homosexuelle Organisationen das neue elektronische Mediu
„Ich bin schwul und glücklich damit. Ich würde nicht tauschen wollen.“ Kevin, 17, stellt dieses Statement selbstbewußt auf die Homepage von BoyTrek (www .boytrek.de), einer schwulen Jugendgruppe in Köln. Deren Ziel ist einfach umschrieben: die Suche nach Gleichgesinnten, Kontakt zu anderen schwulen Jugendlichen, Spaß und Schwulsein als das entdecken, was es ist: vollkommen normal, schön und okay.
Seit November 1997 hilft BoyTrek auch beim Coming-out. „Wir haben gemerkt, daß viele junge Leute über das Medium Internet ihre ersten Kontakte in die schwule Welt bekommen“, begründet Thomas Haas vom Kölner Sozialwerk für Lesben und Schwule, der Leiter der Gruppe, dieses Angebot. Durchschnittlich zehn bis fünfzehn Surfer nutzen den Service, für den jeden Mittwoch zwischen 21 und 23 Uhr bei den BoyTreks Chat- Partner zur Verfügung stehen. Die Anonymität des elektronischen Mediums erleichtert den ersten Schritt zum Coming-out. Mittlerweile sind durch das Internet schon eine ganze Reihe neuer Mitglieder bei BoyTrek gelandet. Geplant ist nun auch noch eine Online-Beratung für Eltern schwuler Jungs. Aber das ist noch Zukunftsmusik.
Das lesbische Pendant zu den BoyTreks, die BadGirls, hat bislang noch keine eigene Web-Seite ins Netz gestellt. Haas verweist zunächst auf seine Kollegin, läßt sich dann aber doch zu einer eigenen Einschätzung hinreißen: „Die Lesben legen ganz einfach nicht soviel Aktionismus an den Tag wie die Schwulen. Die suchen eher nach der Ruhe und Intimität einer kleinen Gruppe.“ Darin spiegele sich typisches Rollenverhalten wider. Schwule und Lesben sind nicht anders erzogen worden als Heteros – Offensivität wird noch immer vorrangig Männern beigebracht.
Während BoyTreks und BadGirls eher getrennte Wege gehen, setzt die Gruppe „Lamda“ mit ihrem Jugendnetzwerk (www .lambda-online.de) bewußt auf die Gemeinsamkeit von Lesben und Schwulen. Das Logo zeigt einen stilisierten Mann und eine stilisierte Frau. Das Coming-out lesbischer Mädchen haben Sigrid Schütz und Sabine Klein zum Gegenstand einer Studie für Lambda gemacht. „Wir haben festgestellt, daß lesbische Mädchen sehr stolz darauf sind, lesbisch zu sein. Das Lesbischsein ist prinzipiell kein Problem, sondern wird das, wenn überhaupt, durch die Reaktionen des Umfeldes“, sagt Klein. Sie hat bei ihren Treffen mit lesbischen Mädchen ein „sehr hohes Mitteilungsbedürfnis“ vorgefunden. Nur scheinen die elektronischen Medien noch nicht richtig entdeckt worden zu sein: Auch bei Lambda besteht die „AG Neue Medien“, die das Netzangebot betreut, ausschließlich aus Männern.
Ist für Lesben zviel Schrott im Netz?
Mit gleich zwei elektronischen Medien arbeiten dagegen die „Lesben in Sicht“, kurz LIS. Das nach eigener Einschätzung „lesbischste Fernsehmagazin Hamburgs“ unterhält eigene Websiten unter hamburg.gay-web.de/lis, ist aber seit 1994 per TV im Offenen Kanal Hamburg jeden vierten Freitag im Monat eine runde Stunde lang zu empfangen. Die Webmasterin Christine Schönke hat für die geringe Präsenz von Lesben im Internet keine einfache Erklärung. „Vielleicht ist den meisten da ganz einfach schon zuviel Schrott drin“, überlegt sie. LIS wollte das Thema „Lesben und Internet“ zum Schwerpunkt einer Sendung machen. Bis heute ist daraus nichts geworden – die Mitarbeiterinnen betreiben ihre journalistische Arbeit nur nebenbei.
Einen neuen Anstoß erwarten die Schwusos von der Bundestagswahl im Herbst. Zusammen mit dem Kanzlerkandidaten ihrer Partei verkünden die schwulen Sozialdemokraten unter www.schwusos .de: „Wir sind bereit.“ Zwar haben auch sie sich „Politik für Lesben & Schwule“ auf die Fahnen geschrieben. Da sie sich aber als schwule Arbeitsgruppe der SPD verstehen, wollen sie sich in lesbische Politik nicht einmischen. „Männer haben sich lange genug angemaßt, für Frauen mitzusprechen“, findet der niedersächsische Schwuso-Landesvorsitzende und Webmaster Achim Schipporeit und meint zuversichtlich: „Die Lesben sind im Internet schwer im Kommen.“ Er verweist auf das „Lesbennetz“ unter www.unibielefeld.de/IFF/lesben, das auch Internet- und HTML-Einführungskurse anbietet, und die Lesben-Online-Zeitung Come Out (www.geocities.com/WestHolly wood/Village/8520/).
Eine eigene Coming-out-Beratung bieten die Schwusos nicht an. Dafür seien andere Organisationen besser geeignet. Die Schwusos setzen auf politische Aufklärung im Netz. Das will auch der Arbeitskreis lesbischer und schwuler PolizistInnen (AlsPol). Seine Internetseite (home.t-online.de/home/ lanax/alspol.htm) erläutert den Zusammenhang der Themen „Homosexualität“ und „Polizei“. Alex Milar, Sprecher des AlsPol, will damit sein Anliegen nicht nur innerhalb der Polizei bekanntmachen. „Gerade die gemeinsam vom Schwulenverband Deutschland (SVD), der Polizei NRW und AlsPol ins Leben gerufene Kampagne ,Liebe verdient Respekt‘, mit der antischwule Gewalt bekämpft werden soll, hat durch das Netz nochmals ein zusätzliches Verbreitungsmedium gewonnen.“ Auch internationale Kontakte zu homosexuellen KollegInnen in London und New York konnten durch das Internet geknüpft werden. Geplant ist jetzt eine Reise zum Christopher Street Day in New York. „Ich glaube, die Internet-Gemeinde ist aufgeschlossener und neugieriger als der Rest der Bevölkerung. Wenn wir unsere Gruppe mit Flugblättern bekannt machen, müssen wir immer mit viel Ablehnung bis hin zu Beleidigungen rechnen“, schildert Milar seine bisherigen Erfahrungen mit dem Netz.
Polizei für mehr Respekt in der Liebe
Eher zurückhaltend nähern sich schwule und lesbische ChristInnen dem neuen Medium. Seit 1977 verbindet sie zwar die Gruppe „Homosexuelle und Kirche“ (HuK) über die Grenzen hinweg, die die Kirchen zwischen sich gezogen haben. Das Evangelium kann auch als befreiende Botschaft gegen die gesellschaftliche Diskriminierung erlebt werden, statt als Knute, die sexuelle Veranlagungen austreiben soll. Doch Reinhold Weicker, Webmaster der HuK, beschreibt seine Seiten unter www.huk.org selbst als „recht altbacken, verglichen mit dem, was heute technisch möglich ist“. Wenigstens hat er die Textwüsten mit einigen Karikaturen aufgelockert.
Auch bei der HuK sind die Lesben unterrepräsentiert. „Das mag auch daran liegen, daß es parallel zu uns noch die LuK gibt, die Gruppe Lesben und Kirche“, vermutet Weicker. Eine eigene Webseite der LuK konnte er allerdings bisher nicht finden. Er bezweifelt, daß ein Chat im Internet das Coming-out von Christen und Christinnen erleichtert. „Bei aller Begeisterung für das neue Medium, Stärke und Anliegen der HuK ist das persönliche Gespräch. Besonders dann, wenn im Coming-out die Entdeckung der Homosexualität mit anerzogenen und verinnerlichten Glaubens- und Moralvorstellungen in Konflikt gerät, ist der persönliche Kontakt wichtig.“
Obwohl die HuK-Seiten einen umfangreichen Katalog von Links auf religiöse Gemeinschaften enthalten, ist zum Orden der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz (S.P.I.) kein Verweis zu finden. Vielleicht liegt das daran, daß auch Weicker die Frage nach der Ernsthaftigkeit dieses Ordens schwuler männlicher Nonnen nicht eindeutig zu beantworten vermag. Der 1979 an einem Ostersamstag von drei Schwulen in San Francisco gegründete internationale Orden, der auf der Begrüßungsseite www.dieschwestern.org mit einer ergreifenden Pietà aufwartet, hat sich der Verkündung universeller Freude und der Tilgung verinnerlichter Schuld geweiht und verkündet stolz: „Wir sind weltweit der einzige Nonnenorden mit rapide steigenden Mitgliederzahlen.“ Der Ausflug in die Tiefen des schwesterlichen Web-Angebots führt ins Ordensarchiv, zu Erzäbtissin Mutter Johanna Indulgentia S.P.I. oder in die Fotogalerie. Safer Sex und das soziale Engagement für Aidskranke und von HIV Betroffene ist jedoch das Hauptanliegen des schwulen Ordens, der 1982 die weltweit erste Safer-Sex-Info-Broschüre herausgab, genannt „Play Fair“.
Die Nonnen wollen nichts Geringeres als eine Welt, in der Aids besiegt ist und alle miteinander in Liebe, Licht und Freiheit in Frieden leben. Dafür verehren sie auch Märtyrer: Anläßlich des Papstbesuches 1996 in Berlin ist Charlotte von Mahlsdorf zur ersten Schutzheiligen der S. P. I. ernannt worden. Doch trotz allem kennen die Nonnen auch Strafen wie Ausschluß, Exkommunikation und Bannfluch – auch die Gay-Community kann den Übeln der Welt nicht gänzlich entfliehen. Walter Jungbauer
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