Noch 43 Jahre bis zur Rente

■ Der 22jährige Daniel Harding ist neuer Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie

Als die basisdemokratisch verwaltete Deutsche Kammerphilharmonie sich 1995 entschied, entgegen vorhergehender Praxis doch einen festen künstlerischen Leiter zu verpflichten, war das noch mit stunden- und tagelangen Diskussionen verbunden. Mit Thomas Hengelbrock hatten die rührigen MusikerInnen einen Gleichgesinnten gewonnen und mit ihm eine so gute Erfahrung gemacht, daß nun wieder ein „Musikalischer Direktor“gewählt wurde – und zwar schnell und einstimmig der 22jährige Engländer Daniel Harding. Etwas zäh verlief die diesbezügliche Pressekonferenz, denn man hatte schon den Eindruck, daß Harding die Fragen über sein Alter leicht auf die Nerven gehen. Einerseits verständlich, andererseits kann die Verwunderung nicht ausbleiben, wenn ein Musiker in dem Alter bereits Chef des Trondheim Symphony Orchestras ist und nächstes Jahr zusätzlich (!) die Position des künstlerischen Leiters der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen übernehmen wird. Zieht man dann noch in Betracht, daß sein Repertoire keinerlei Vorlieben oder Richtung erkennen läßt, sondern von Ra-meau bis Isang Yun, von Bach bis Henze, von Haydn bis Strauss – von „Ariadne uf Naxos“war da die Rede – , von Wagner bis Schostakowitsch alles erklingen wird, dann wundert man sich schon, wie und wann er das alles macht und erfolgreich schafft, und dann auch noch „so authentisch wie möglich“, wie Albert Schmitt von der Deutschen Kammerphilharmonie meint.

Allerdings blickt auch Daniel Harding schon auf zehn Jahre dirigentische Praxis zurück, denn er fing mit dreizehn in der Schule an. Als er als Sechzehnjähriger wegen einer Aufführung von Schönbergs „Pierrot Lunaire“den berühmten Simon Rattle, Leiter des Birminghamer Orchesters, um Rat fragte, war der professionelle Anfang gemacht. Mit achtzehn wurde er dessen Assistent, im vergangenen Jahr Assistent von Claudio Abbado in Berlin. So konnte ein spezifisches künstlerisches Bild in dieser Pressekonferenz nicht angekündigt werden, es sei denn, man hält den Satz des neuen Managers des Orchesters, Job Maarse, Harding kenne „sich von Rameau bis zum zwanzigsten Jahrhundert aus“, für eine Konzeption.

Das Orchester wird seinerseits in der Projektarbeit weiterhin an stilistischen Vertiefungen arbeiten, so nächstes Jahr mit Trevor Pinnock aus der alten Musik und zum wiederholten Mal mit dem Komponisten und Dirigenten Heinz Holliger. Harding, dessen Bezeichnung „Stardirigent“hoffentlich nicht ein neuer PR-Stil der Kammerphilharmonie ist, wird am 12. April in der Glocke ein Konzert dirigieren, in dessen Mittelpunkt das Doppelkonzert für Violine und Violoncello von Johannes Brahms steht: Die Soloparts spielen Christian Tetzlaff, frisch gebackener Gastprofessor an der hiesigen Hochschule für Künste, und seine Schwester Tanja Tetzlaff, neue Solocellistin der Deutschen Kammerphilharmonie.

Ute Schalz-Laurenze