Scherf erinnert sich an Straßenschlachten

■ Öffentliches Gelöbnis von Rekruten – ein Bremer Trauma

Bürgermeister Henning Scherf (SPD) hat angefangen, ein Trauma aufzuarbeiten: die Ereignisse um das öffentliche Gelöbnis von Bundeswehrrekruten am 6. Mai 1980 im Weser-Stadion. Rund um die Sportstätte tobten blutige Straßenschlachten zwischen Polizei und gewaltbereiten Demonstranten. Mittendrin – sozusagen als „Anführer“der gewaltlosen Gewerkschaftsjugend – der damalige Jugendsenator und anerkannte Kriegsdienstverweigerer Scherf. Bei den „bürgerkriegsähnlichen Ereignissen“brannten Autos und Uniformen, es flogen Pflastersteine, Molotow-Cocktails explodierten. Bilanz der Ausschreitungen: Mehr als 250 Beamte wurden verletzt und eine nicht näher bezifferte Anzahl Demonstranten.

18 Jahre danach soll es nach dem Wunsch von Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) – voraussichtlich am 9. Juni – wieder ein öffentliches Gelöbnis in Bremen geben. Scherf betont, daß es nicht seine Idee war. „Wenn der Minister die Absicht hat, dann sind wir als Teil der Bundesrepublik verfassungsloyal und müssen den Wunsch der Bundeswehr respektieren.“Seine Mitarbeiter wollen in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr „alles daran setzen, daß sich der 6. Mai 1980 nicht wiederholt“.

Bürgermeister Scherf und der Koalitionspartner CDU sind entschlossen, das Gelöbnis an einem exponierten Platz stattfinden zu lassen. Damit handelt der Sozialdemokrat gegen den ausdrücklichen Willen des SPD-Landesvorstandes und eines großen Teils der SPD- Bürgerschaftsfraktion. Ein Beschluß des Landesvorstandes besagt unter anderem, daß es sich bewährt habe, derartige Gelöbnisse dort stattfinden zu lassen, wo Wehrpflichtige ausgebildet werden.

Der Bürgermeister zeigt Verständnis für diese Haltung: „Meine SPD ist wund durch dieses unvergeßliche Ereignis vom 6. Mai, bei dem ich ja selber mitgemacht habe. Ich bin auch wund.“Scherf wollte nach seiner Darstellung damals verhindern, daß es zu einer Schlacht kommt. „Und ich hatte die Vorstellung mit vielen anderen – darum war ich auch so an der Gewerkschaftsjugend interessiert –, daß wir einen tausendfachen, friedlichen, gewaltfreien Kordon zwischen den Bundeswehrleuten und den gewaltbereiten Demonstranten ziehen... Und das ist uns entsetzlich mißlungen.“

Scherf betont, daß er nach wie vor Kriegsdienstverweigerer ist und auch in seiner jetzigen Position dazu steht. Aber inzwischen habe sich durch das Ende des Ost-West-Konflikts, durch die Wiedervereinigung und durch das Öffnen nach Osteuropa die Lage völlig verändert. „Ich muß diesen fundamentalen Wandel der Bundeswehr doch auch in meinen Pazifistenkopf hineinkriegen –, daß die Bundeswehr als Teil der Nato der wichtigste zentrale Integrationsbestandteil der europäischen Sicherheitsordnung ist.“

Diese Einstellung wird vor allem vom CDU-Landesvorsitzenden Bernd Neumann begrüßt. Neumann hatte Scherf nach den Ereignissen 1980 als „Aufwiegler“bezeichnet und seinen Rücktritt gefordert. Zeugen hatten damals ausgesagt, Scherf hätte gemeinsam mit den Jugendlichen gegen das Gelöbnis protestiert. „Gerade mit Blick auf die damaligen Ereignisse wäre es gut, wenn gerade in Bremen wieder ein öffentliches Gelöbnis möglich ist.“ Gert Simberger, dpa