: Ein Wohnzimmer für die Peripherie
Nüchtern, unauffällig und dem Ort angemessen: Das Künstlerhaus Bethanien hat gemeinsam mit der Stuttgarter Akademie Schloß Solitude einen kleinen Schauraum in Mitte als „aushäusige Infobox“ eröffnet ■ Von Harald Fricke
Das neue Schild am Hauseingang Tucholskystraße Ecke Auguststraße ist sehr dezent ausgefallen. Auf einer Aluminiumplatte wurde mit feiner Schreibschrift „Kreutzer & Stutzig“ eingraviert. Die Namen stammen von jüdischen Geschäften, die hier vor der Reichskristallnacht existierten. Trotzdem ist der Schriftzug der cremefarbenen Galerie schon am Tag nach der Eröffnung mit schwarzem Lack ausgestrichen worden. Es dürften Leute aus der Nachbarschaft gewesen sein, wütende Kiezbewohner, die sich über noch mehr Kunst in Mitte ärgern.
„Kreutzer & Stutzig“ ist ein Gemeinschaftsprojekt des Künstlerhauses Bethanien und der Stuttgarter Akademie Schloß Solitude. Die beiden Häuser arbeiten schon seit einiger Zeit zusammen: Im Oktober 1996 durften Solitude-StipendiatInnen umfängliche Installationen im Bethanien präsentieren, jetzt eröffnet „Kreutzer & Stutzig“ mit Stephen Waddell, einem kanadischen Gast der Akademie. Seine Arbeiten – kleinformatige Ölgemälde mit Motiven aus dem städtischen Alltag – sind nüchtern und dem Ort irgendwie angemessen. Waddell malt Räume und Situationen, in denen sich „Ort und Erinnerung verschränken. Das läßt sich symptomatisch an der Materialität der Bilder ablesen. Die Farbpalette ist gedämpft und gebrochen und hat starke Grauwerte“, wie es im Folder zur Ausstellung heißt.
Tatsächlich könnten sich die Szenen, die Waddell auf seinen Bildern festhält, direkt vor der Tür auf der Tucholskystraße abspielen. Oder in Stuttgart. Zeitlose Tristesse, ein bißchen abstrakt, und nicht mit den architekturbezogenen Raumarbeiten zu vergleichen, wie sie in den Baustellengalerien rund um die Auguststraße sonst gezeigt werden. Bei Waddell spielt das Lokalkolorit keine Rolle, darin ist er der Kiezgemütlichkeit schon um einiges voraus.
Die Ausstellung ist denn auch mehr als ein Testballon für streng komponierte Genremalerei. Daß die Schwaben daran interessiert sind, einen neuen Ausstellungsraum direkt in Mitte aufzumachen, liegt auf der Hand. Solitude-Leiter Jean-Baptiste Joly meinte zur Eröffnung ganz pragmatisch, daß der Wechsel von Stuttgart nach Berlin der Bewegung von der Peripherie ins Zentrum gleichkäme. Und davon hatte schließlich auch die letzte documenta unter der Federführung seiner Kollegin Catherine David profitiert. Trotzdem bleibt Joly vorsichtig und will sich nicht recht festlegen, wie lange das Projekt in der kaum 20 Quadratmeter großen Galerie andauern soll. Der Daimler-Benz AG als Sponsor der Stuttgarter Akademie stehen mit dem Umzug an den Potsdamer Platz ohnehin noch größere Bewährungsproben in Sachen Kulturförderung ins Haus.
Was aber verleitet das Künstlerhaus aus Kreuzberg dazu, sich einen Raum in Mitte zu suchen? Natürlich fühlt sich auch der Bethanien-Chef Michael Haerdter vom Galerienboom angezogen. Während demnächst eine privat getragene Kunsthalle an der Chausseestraße eröffnet und die Berlin- Biennale einen weiteren Mitte- Event beschert, scheint sich für Kreuzberg als Kulturstandort niemand mehr zu interessieren. Das wirkt sich allerdings auf die Senatsförderung aus. Dem Bethanien wurden die Mittel auf ein Minimum zusammengestrichen, nur durch Gelder der Philip-Morris-Stiftung, einen Förderkreis und diverse Länderbeteiligungen kann das Stipendiatenprogramm überhaupt aufrechterhalten werden. Also hat man sich für die Flucht nach vorn entschieden: Der Schauraum in Mitte soll einem breiten Szenepublikum zeigen, was in Kreuzberg passiert. Dabei kommt die Wohnzimmeratmosphäre vor Ort der Planung durchaus entgegen. Neben kleinen Ausstellungen wird es regelmäßig Künstlergespräche geben, für den Sommer will man Filmemacher einladen, die ihre Arbeit vorstellen.
Auf keinen Fall soll „Kreutzer & Stutzig“ mit dem Galerienumfeld konkurrieren, sondern eher wie eine „aushäusige Infobox“ funktionieren. Im Hinterraum gibt es dazu den kompletten Satz an Videos, Katalogen und Publikationen der beiden Kunstvereine. Demnächst wird souterrain noch ein zusätzliches Video-Archiv eingerichtet. Dafür ist das Geld, so der Bethanien-Projektleiter Christoph Tannert, „gut angelegt“. Noch sind die 40.000 Mark Unterhaltskosten aber nicht finanziert. Für das Mutterschiff in Kreuzberg wäre es ohnehin viel zuwenig.
Stephen Waddell, bis 9.5., Mi. bis Fr. 15–19, Sa. 12–17 Uhr, Kreutzer & Stutzig, Tucholskystraße 36.
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