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Chronologie einer wachsenden Stärke

Seit der evangelische Pastor Klaus Geyer wegen des Totschlags an seiner Frau vor Gericht steht, spekulieren alle über den Angeklagten. Über das Opfer spricht kaum noch jemand. Ein Porträt der Theologin Veronika Geyer-Iwand  ■ Von Bascha Mika

Als man sie fand, hatte sie schon mehrere Tage im Wald gelegen. Halb versteckt in einem Graben zwischen Bäumen und dichtem Unterholz. Selbst wenn der Jäger, der auf ihren leblosen Körper stieß, ihr vorher je begegnet wäre, hätte er sie nicht erkennen können. Was einmal ihr Gesicht war, bestand nur noch aus einer zerschlagenen Masse von Fleisch und Knochen. Mit wahnsinniger Wut hatte der Mörder ihren Kopf zertrümmert. Er wollte Veronika Geyer-Iwand nicht nur töten, er wollte sie auslöschen.

Im Leben war Veronika Geyer- Iwand in ihrer Gegend, in der niedersächsischen Region zwischen Braunschweig und Königslutter, eine bekannte Person. Im Tode wurde sie zum spektakulären Fall. Ihr Mann, der evangelische Pastor Klaus Geyer, wurde Anfang Februar in Braunschweig des Totschlags an seiner Frau angeklagt; er erwartet in Kürze sein Urteil.

Veronika Geyer-Iwand starb im Juli vergangenen Jahres. „Ich erinnere mich, daß sie sehr nett war, doch oft war sie auch wütend, wenn sie morgens in unsere Klasse kam“, sagt eine ehemalige Schülerin über ihre Lehrerin. „Ich erinnere mich an ihre kristallklare Härte, wenn es um die Verteidigung lutherischer Grundpositionen ging“, sagt einer ihrer Kollegen. „Ich erinnere mich an ihre Listigkeit, mit der sie die Bezirksregierung austrickste, um Asylbewerbern zu helfen“, sagt eine ihrer Freundinnen.

Veronika Iwand, 1943 geboren, war gerade sieben Jahre alt, als ihre Mutter an Krebs starb. Ihr blieben der Vater, der berühmte Theologe Hans Joachim Iwand, vier Geschwister, die jedoch alle wesentlich älter waren, und Emmi Walter, Sekretärin und Wirtschafterin bei Iwands. Emmi Walter war wohl das, was man die gute Seele im Haus nennt. Sie kümmerte sich um die Familie, vor allem um das jüngste Kind, das sie regelrecht adoptierte.

Veronika war ein zurückhaltendes, etwas schüchternes Mädchen, ein blonder Lockenkopf, sehr hübsch, der seinem Vater ähnlich sah. Freunde der Familie beschreiben Iwand als beeindruckenden, charismatischen Mann. Ein weltoffener Mensch, großzügiger Gastgeber, sehr politischer Theologe und unbequemes Mitglied seiner Kirche.

Die Nazis hatten versucht, den Hochschullehrer aus Königsberg mundtot zu machen, als er mit Karl Barth die Bekennende Kirche aufbaute. In der Adenauer-Ära wurde er von seinen Professoren- Kollegen in Göttingen und Bonn geschmäht, weil er sich weiterhin politisch engagierte – gegen die Wiederbewaffnung ebenso wie gegen den dogmatischen Antikommunismus.

„Der alte Iwand war immer sehr freundlich“, erzählt ein Jugendfreund Veronikas, „aber wenn er in seinem Sessel saß, so groß und so breit, wie er war, und eine seiner langen Zigarren rauchte, wirkte er schon sehr patriarchal.“ Veronika war das Nesthäkchen der Familie und genoß beim Vater eine bevorzugte Stellung. Als einzige der Geschwister trat sie beruflich in seine Fußstapfen, studierte Theologie und erbte seine große Bibliothek. Offenbar hat sie sehr an ihm gehangen, doch hatte sie wohl auch so ihre Probleme mit ihm: Wenn sie als erwachsene Frau ihren Vater erwähnte, beschrieb sie ihn als einschüchternd autoritär. Vielleicht war sie deshalb in ihrem theologischen Denken weniger von ihm als von Helmut Gollwitzer beeinflußt, der ein guter Freund Iwands war.

Sie war siebzehn, als der Vater starb, 1960, mitten im Semester, an einem Schlaganfall. Ihr Zuhause war jetzt bei Emmi Walter. Die lebte inzwischen in Beienrode, auf einem alten Rittergut, das die Iwands nach dem Krieg gekauft hatten. Das Gut mit Herrenhaus, Nebengebäuden und einem großen Park war damals billig zu haben. Es lag im Zonenrandgebiet. Die Iwands bezahlten es mit dem Geld aus dem Lastenausgleich, den sie für ihren Besitz in Ostpreußen erhalten hatten, und richteten darin ein Heim für ostpreußische Pfarrerswitwen ein. Beienrode sollte auch Veronika Iwands Heimat werden.

Doch zunächst studierte sie in Berlin Theologie und Altphilologie und wohnte bei den Gollwitzers. Sie engagierte sich in der ESG, der Evangelischen Studentengemeinde, und war auf jeder Demo gegen die Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg zu finden. Wenn ihr Jugendfreund an die Studentin Veronika zurückdenkt, hat er eine sehr lebhafte, selbständige junge Frau vor Augen. „Sie strahlte so etwas Offenes und Aufrechtes aus und erinnerte damit an ihren Vater.“

Vielleicht hatte ihr dieser auch den fundamentalen Gottesglauben vererbt, den alle an ihr beobachteten. „Wenn es um Gott ging, war sie empfindlich“, sagen KollegInnen, mit denen sie über Glaubensfragen diskutierte. „Es war für sie kaum zu ertragen, wenn jemand an Gott zweifelte oder – schlimmer noch – behauptete, er sei ihm egal.“ Moral und soziales Engagement waren für die Theologin ohne einen Gottesbegriff nicht denkbar. Jemand, der diese Eigenschaften aufwies, konnte in ihren Augen einfach kein Atheist sein – selbst wenn er es noch so lautstark behauptete. Dabei, so ein langjähriger Bekannter, sei Veronika Iwand alles andere als eine „falsche Fromme“ gewesen.

Im Hause Gollwitzer lernte die junge Frau den Mathematikstudenten Klaus Geyer kennen, der sich, von Gollwitzer beeinflußt, gerade entschlossen hatte, auf Theologie umzusatteln. Klaus Geyer war in vielem wohl das glatte Gegenteil seiner Freundin. Sie war zwar in einer intellektuellen Umgebung groß geworden, hatte sich aber – wohl auch in einer typischen weiblichen Prägung – in dieser Hinsicht nie sehr viel zugetraut. Klaus Geyer übernahm den Part des analytischen Denkers. Wo er ironisch distanziert war, war sie spontan und intuitiv, wo er versponnen und kreativ war, war sie praktisch und vernünftig, wo er einen Hang zum Zynismus zeigte, verließ sie sich auf ein gefestigtes Weltbild, in dem Gut und Böse ihren Platz hatten. Ein ungleiches Paar, das aber, so berichten Freunde, gerade deswegen so gut zusammenzupassen schien.

Ende der 60er Jahre heirateten die beiden und begannen mit dem, was sie ihr „Lebensprojekt“ nannten. Dazu gehörten sehr bald Kinder. Noch als beide studierten, wurden die Söhne Lukas und Thomas geboren. Eine Freundin: „Das war kein Unfall. Veronika hat mir immer erzählt, daß sie gleich als Familie leben wollten.“

Nach dem Tod ihres Vaters wurde Veronika Iwand zur Erbwalterin der Hans-Iwand-Stiftung und kümmerte sich um das Altersheim auf dem Beienroder Gutsgelände, das „Haus der helfenden Hände“. Mitte der siebziger Jahre übernahm ihr Mann die Pastorenstelle, zu dessen Sprengel das Dorf Beienrode gehört. Als Pfarrhaus diente der Familie eines der Häuser des Gutes.

Ganz in der religiös-politischen Tradition der Bekennenden Kirche hatte sich Beienrode längst zu einem Zentrum für Christen entwickelt, die sich in linken und pazifistischen Gruppen engagierten, um Aussöhnung mit dem jüdischen Volk und Begegnung mit Menschen aus Osteuropa bemühten. Hier fand einmal jährlich der Beienroder Konvent statt, der bereits 1962 die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze forderte; hier wurden Friedensfestivals veranstaltet, und Aktion Sühnezeichen hatte hier ein festes Standbein.

Die Geyers führten ein offenes Haus und einen „angenehm schlunzigen Haushalt“, wie ein Bekannter der beiden das nennt. Veronika bekam bald ihren dritten Sohn, Johannes. Und später kam als viertes Kind noch die fünfzehnjährige Anca aus Rumänien ins Haus, die die Familie adoptierte.

Veronika Geyer-Iwand unterrichtete an einer Gesamtschule in Wolfsburg Religion, Latein und Griechisch. Ihre Direktheit, ihre manchmal dogmatische Haltung in religiösen Fragen und ihre gelegentlichen Wutausbrüche machten sie zu einer Lehrerin, die niemandem gleichgültig war: SchülerInnen waren entweder ihre Fans oder lehnten sie vehement ab.

„Im Kollegium wurde sie von denen, die sie gut kannten, als sehr verantwortungsvolle Tutorin geschätzt, als Frau, die für die schwierigen Fälle und die unkonventionellen Dinge zuständig war“, erzählt einer der Lehrer. „Diejenigen, die weniger mit ihr zu tun hatten, haben sie wegen ihrer Freundlichkeit unterschätzt und weder ihre knallharten Positionen noch die Arbeit wahrgenommen, die sie investierte.“

Und gearbeitet hat diese Frau viel. Da war nicht nur der Lehrerinnenjob und die Familie, der ständige Trubel in Beienrode und ihr Engagement in der Kommunalpolitik, ihre Arbeit in einer Theresienstadt-Initiative und ihre Leitung des „Hauses der helfenden Hände“ – da war auch ihr Mann, auf den sie sich im praktischen Leben alles andere als verlassen konnte. „Wenn Klaus einen Einfall hatte, vergaß er alles um sich herum, selbst seine Kinder“, sagt eine Freundin Veronikas. „Er konnte sich im größten Chaos hinsetzen und musizieren. Das hat sie genervt, sie hat es aber auch bewundert.“ Und manchmal hat sie es nicht mehr ertragen. „Bei einem Streit konnte sie sehr laut und sehr verletzend werden. Sie muß daheim mordsmäßig gebrüllt haben. Darunter hat sie gelitten, denn das entsprach nicht ihrem Selbstbild.“ Eine Frau, die über Jahrzehnte am Rande ihrer Belastbarkeit lebte und es trotzdem immer wieder hinbekam, Zuverlässigkeit auszustrahlen. Sie hätte die Egomanie ihres Mannes wohl kaum ausgehalten, hätte sie nicht das gehabt, was ihre Freundin als einen „ungeheuer stabilen Lebenskern“ bezeichnet.

Klaus Geyer brauchte diese stabile, handfeste Veronika fürs Leben, die Frau, die auch in der Gemeinde das abdeckte, wozu er nicht fähig war. Zu ihm kamen die Leute, um zu reden, zu ihr, wenn etwas getan werden mußte. Oft genug sprang sie ein, wenn er mal wieder einen Termin vergessen, eine Arbeit unerledigt gelassen hatte. Und sprach man sie darauf an, winkte sie nur halb entnervt, halb besänftigend ab: „Diesen Mann ändere ich nicht mehr.“ – „Ich war einer, der sich gerne bedienen ließ“, sagte Klaus Geyer vor Gericht über seine Ehe, „war einer der typischen Männer. Das lag nicht am Kopf, sondern am Bauch.“

In vielem war das Ehepaar Geyer-Iwand wohl typisch für seine 68er Generation. Da war der Mann, der theoretisch emanzipiert sein wollte und praktisch auf Kosten seiner Frau lebte. Und eine Frau, die im praktischen Alltag emanzipiert war, sich in ihrem Beziehungsleben aber vieles von ihrem Mann gefallen ließ.

Dazu gehörten wohl auch die Liebesgeschichten, die Klaus Geyer über Jahrzehnte neben seiner Ehe hatte und die im Prozeß gegen ihn eine wichtige Rolle spielen. FreundInnen und KollegInnen der Toten sind sich uneins, wieviel und ob die Betrogene davon wußte. „Daß sie alles gewußt hat und damit leicht gelebt haben soll, kann ich nicht glauben. Das hätte sie nicht akzeptiert. Sie war ein Mensch, der nach Klarheit verlangte.“ – „Sie konnte damit umgehen, solange sie als Person nicht in Frage gestellt wurde.“ – „Sie hat öfter gesagt: Das ist der Klaus, der braucht das halt.“ – „Wir haben gewußt und auch wieder nicht gewußt“, sagte Klaus Geyer vor Gericht.

Vielleicht hat Veronika Geyer-Iwand so einiges hingenommen, weil sie – wie ihre Freundinnen übereinstimmend feststellen – oft einfach stolz auf ihren Klaus war: auf seinen Intellekt und seine musische Begabung. Dabei hätte sie Grund genug gehabt, auf sich selbst stolz zu sein. Während ihr Mann mit fortschreitendem Alter zunehmend Rückschläge einstecken mußte, entwickelte seine Frau zunehmende Sicherheit – auch in der Öffentlichkeit. Ihre Kraft, die sie lange Zeit nur im engeren Kreis zeigte, richtete sich vermehrt nach außen. Auch hierin keine untypische Vertreterin ihrer Generation. Sie wurde Ortsbürgermeisterin von Beienrode und übernahm neben der Schule noch eine Stelle als Studienleiterin im Amt für Religionspädagogik. „Sie traute sich mehr zu und ließ sich von Kritik weniger stark verunsichern“, bemerkten ihre Freundinnen.

Die Staatsanwaltschaft vermutet, daß es diese wachsende Stärke gegenüber ihrem Mann gewesen ist, die die 53jährige Veronika Geyer-Iwand das Leben kostete.

Die Verteidigung ist davon überzeugt, daß die Täterschaft des Angeklagten nicht zweifelsfrei nachzuweisen ist.

Klaus Geyer sagt: „Ich will, daß dieser Tod gesühnt wird.“

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