: Schwarzbrennerversammlung
Vorerst keine mehrstündigen Torturen mehr? Tatsächlich – nach sieben Jahren stellen Orplid & Co. ihre internationalen Lesungen leider ein: Eine Bilanz ■ von Peter Walther
Die „Förderung und Pflege der Poesie“ hatte sich der Verein Orplid & Co. auf die Fahnen geschrieben, als er vor sieben Jahren mit seiner ersten Lesung und zwei sympathischen Selbstbeschränkungen ins Leben trat. Zum einen stand fest, daß nach sieben Jahren Schluß gemacht wird. (Wie denn, kein Schielen nach Pöstchen im Literaturbetrieb?) Die zweite Festlegung betraf den Ablauf der Veranstaltungen: Alle potentiellen Selbstdarstellungsversuche des Auditoriums wurden abgewürgt. Allein auf die Vielfalt und Opulenz der literarischen Darbietungen kam es an, wie ein Blick in die Liste der Autoren, die bei Orplid & Co. aufgetreten sind, offenbart.
Mit über 100 Lesungen von Autoren aus aller Welt ist der Verein in den vergangenen Jahren längst zu einer literarischen Instanz geworden. Er hat das kulturelle Leben in der Stadt durch das Engagement von ein par ABM-Kräften und die dankenswerte (aber nicht eben üppige) Unterstützung durch den Senat, die Stiftung Preußischer Seehandel und die Stiftung Kulturfonds wohl stärker geprägt als manche der millionenschweren Institutionen, die sich an ihre Pfründen aus den fetten achtziger Jahren klammern. Kommenden Dienstag findet, im „verflixten siebten Jahr“, die vorerst letzte Veranstaltung von Orplid & Co. statt. Anlaß genug für einen Rückblick.
Wer bei der Namesgebung auf Mörikes märchenhafte Insel Orplid gekommen ist, läßt sich nicht mehr rekonstruieren. Doch schien es den Initiatoren des Unternehmens, allen voran Brigitte und Adolf Endler, angeraten, den ungewollten Hauch von Nostalgie mit dem Zusatz „& Co.“ zu entschärfen. Die gesunde Mischung aus hohem Ton und Verschlagenheit, die im Namen anklingt, trifft den Charakter der Unternehmung jedoch ausgezeichnet. Wer sich in den finsteren Hinterhof der einstigen DDR-Zensurbehörde verirrt, in den verräucherten Saal des Cafés Clara, der glaubt sich in einer Versammlung von Schmugglern oder Schwarzbrennern wiederzufinden. Hier muß etwas passieren, von dem sich das Publikum einen besonderen Vorteil verspricht.
Was sonst treibt die Leute dazu, sich abwechselnd stickig-schlechten Winden und reißender Zugluft auszusetzen, ohne Gewähr, etwas von dem zu sehen, was vorn vor sich geht? Was treibt sie dazu, an den Ausdünstungen der Umstehenden teilzuhaben, selbst zu schwitzen und für diese mehrstündige Tortur auch noch Eintritt zu zahlen? Poesie, lautet die Antwort kurz und schlicht; Dichtung etwa von István Eörsi und Allen Ginsberg oder von Inger Christensen und Durs Grünbein, um nur zwei der Sternstunden aus der langen Reihe dialogischer Lesungen herauszugreifen. Den Orplid-Veranstaltern ist es gelungen, der Froschperspektive zu entfliehen, die gemeinhin den Blick auf Wert oder Unwert der deutschen Gegenwartsliteratur bestimmt.
Dies dürfte am allerwenigsten am Genius loci gelegen haben, denn Ort der Lesungen ist das Gebäude der einstigen Zensurbehörde der DDR. Blättert man in der Dokumentation, die der Verein zum Abschluß des Unternehmens herausgegeben hat, so wird schon eher klar, was den poetischen Horizont der Orplid-Leute ausmacht: Lyrik und Prosa kommen nicht nur aus dem deutschen Sprachraum, sondern mit Baldur Oskarsson beispielsweise aus Island, mit Péter Esterházy aus Ungarn, mit Yoko Tawada aus Japan und mit Ryszard Krynicki aus Polen. Wo andere die Flucht ins multikulturelle Spektakel antreten oder Provinz gegen Weltläufigkeit ausspielen, geht es bei den Orplid- Lesungen um den Vergleich und die Relativierung ästhetischer Positionen. Wer hören will, was er ohnehin schon kennt, ist hier fehl am Platz. Bei aller Internationalität haben Endler & Co. jedoch nie ihr Interesse am Nachleben der Prenzlauer-Berg-Szene verhehlt. Davon zeugen Veranstaltungen zum 90. Geburtstag des Lyrikers Erich Arendt, des einstigen Mentors der Szene, Lesungen mit Jan Faktor, Johannes Jansen, Andreas Koziol, Annett Gröschner, Ulrich Zieger und Bert Papenfuß.
Freilich war der pauschalen Abkanzlung der Literatur aus Prenzlauer Berg als Simulationsprodukt der Stasi etwas entgegenzusetzen, aber es ging nicht allein um Ehrenrettung. Was etwa Jan Faktor, literarischer Exhibitionist physischen Leidens und exzellenter Yoga- Jünger in einem, oder Annett Gröschner, Chronistin alltäglicher Absurdität, an Texten präsentiert haben, bestätigt nur posthum, was auch schon vorher gegolten hatte: Ästhetisch homogen war die Szene in Prenzlauer Berg nie. Wenn am Dienstag der Laden erst einmal dichtgemacht wird, bleibt zu hoffen, daß Orplid & Co., dieser kleinen Verschwörung gegen den Zeitgeist, ein zweites Leben vergönnt ist – in welchem Hinterzimmer auch immer.
Dienstag lesen Ulrike Draesner, Elke Erb, Durs Grünbein, Rolf Haufs, Wolfgang Hilbig, Ursula Krechel, Bert Papenfuß (20Uhr, Café Clara, Dorotheenstr. 90)
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