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Nachfahren der Lehmans

Richtiges Leben in richtigen Villen: Die Fotografin Tina Barney hat ihr seltsames Familienalbum aus dem Nordosten von Amerika als Bildband veröffentlicht  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Ihr Lieblingsplatz in einem großen Haus von altenglischer Klasse hat zwei Fenster im Hintergrund und einen Teppich, der seine besseren Tage längst gesehen hat. Wenn Tina Barney an dieser Stelle auf einem geblümten Sessel Platz nimmt, hat sie immer ihre geblümten Hosen an und trägt einen weinroten Kaschmirpullover über einem weißen Rolli. Während sie mit der Faust den Fernauslöser zusammendrückt, blickt sie die Kamera an wie eine Schwester, mit der sie sich verschworen hat.

Schon mit vierzig Jahren hatte Tina Barney etwas Greisenhaftes an sich. Ihre nervöse Anspannung allerdings verlor sich in den folgenden dreizehn Jahren – bis jetzt –, während sie sich einreihte in die Galerie der lebenden Ahnen, aus denen ihre Familie besteht. Diese Familie ist das Thema der Fotografin Tina Barney, und das Buch „Von Familie, Sitte und Form“ ist ihr absonderliches Fotoalbum.

Der verschlissene Teppich bleibt die Ausnahme; die Interieurs sind ansonsten makellos. Barney macht uns zu Zeugen eines schönen Lebens hinter schönen Gardinen, wo selbst der Fernseher holzgerahmt ist und die Lampenschirme seiden glänzen und die Einbauschränke von innen pink gestrichen sind. Die Männer lächeln angespannt über ihre Erfolge, die sie zu Schweigen verpflichten, und die Frauen eilen stündlich vor den Spiegel, um zu prüfen, wie die Jahre vorbeifliegen. Kinder von sechs Jahren sind von ihrer eigenen Schönheit so gelangweilt, daß sie sich leihweise Managerphysiognomien zulegen, die dann aber festkleben. Blasiert taucht man durch die Pubertät, um als gebräunter Softie mit Tennismuskeln wieder aufzutauchen, kurz davor, eine eigene Kunstsammlung zu beginnen.

Der Name Tina Barney ist prima Camouflage; ihre Mutter heißt Lillian Groueff. Das Zuhause war ein stattliches Gutshaus mit dem Namen „The Lindens“ auf Long Island. Zur Schule wurde Tina im schwarzen Cadillac gebracht. Ihr erster Aufenthalt jenseits von zu Hause war, natürlich, ein Jahr in Florenz. In den Siebzigern wohnte sie mit ihrem damaligen Mann und zwei kleinen Kindern in Sun Valley, Idaho, wo sie mirakulöserweise einflußreichen Fotografen wie Frederick Sommer und Ralph Gibson begegnete. Man sieht die ersten Kunstbemühungen in einigen schwarzweißen Fotografien, die der farbigen Bildstrecke des Buchs vorangestellt sind. 1978, am Pool, beginnt die Beschäftigung mit roten Badeanzügen und behenden Körpern, die undramatische Schatten werfen. Barney begriff plötzlich, daß sie nichts erfinden muß. Der große Teil der Fotografien ist mit einer großen Kamera fotografiert; schließlich arbeitete Barney sogar mit einem Assistenten. Man kann über 250 Seiten verfolgen, wie sie ihre Familie und befreundete Familien in ihr Projekt einwebt, die Widerstände schleift, Gesten der Abwehr als solche deutet. Die schwerfällige Technik reiht sie ein in das langwierige soziale Prozedere ihrer Klasse. Sie ist regelmäßiger Gast bei Geburtstagen, Hochzeiten und Gartenfesten und arrangiert dort die Mitglieder ihrer Familie zu kleinen Gruppen, deren Interaktion sie in bewegte Szenen zerlegt, zerbricht und überhöht.

Es sieht fast so aus, als habe sie hart daran gearbeitet, die Zufälle des Familienknipsens in ihre elaborierte Fotografie wieder einzuführen. Man wundert sich über ein gepunktetes Kleid in der Unschärfe, helles Porzellangeschirr am Bildrand und jede Menge halbverdeckte Figuren. Exzessen an Verwirrung folgen dann wieder kostbar gewirkte Studien feiner Menschen in feinen Räumen. Es ist trotz der eindringlichen, introvertierten Selbstporträts gegen Ende der Bildstrecke nicht so recht auszumachen, ob die Fotografin ihre Modelle an die Formeln postmoderner Fotografie gewöhnt hat, damit sie ihr Bild nicht mehr kontrollieren können, oder ob sie die physische Macht der sehr detaillierten farbigen Bilder als ultimatives Kompliment gegenüber ihrem Milieu ansieht.

Andy Grundberg schreibt im Nachwort, Tina Barney sei direkter Nachkomme einer osteuropäischen Familie namens Lehman, Bankern in New York, die dem Metropolitan Museum der Stadt New York einen Lehman-Flügel des Gebäudes mit Gemälden bestückt haben. Sie wurde mit 21 Jahren gebeten, Mitglied im Junior Council des MOMA zu werden. Sie kannte die beste fotografische Sammlung Nordamerikas aus der Nähe, Jahre bevor sie selbst ernsthaft zu fotografieren begann.

Das Geheimnis von Tina Barneys Werk, schreibt Grundberg, sei „nicht, daß Juden sich als WASPs maskieren; eher ist es die Enthüllung dessen, daß WASPheit eine soziale Konstruktion ist“. Tatsächlich sieht man in ihren Fotografien pompöse Ausformungen eines weißen, selbstgerechten Amerika mit diffusen Sehnsüchten nach europäischer Grandeur. Ob am Strand oder auf schattigen Veranden strahlender Villen oder in den Stadtapartments – die Idee vom richtigen Leben im Richtigen bleibt auch durch flüchtige Kontakte mit Coor's- und Cola-Dosen unangefochten.

Eine ähnliche Negation wie die Grundbergs gibt es im Vorwort der Fotografin selbst: „Ich weigere mich, in die Vergangenheit zurückzugehen und zu sagen, ich sei als Kind einsam gewesen.“ Und konterkariert es doch mit dem simplen Satz: „Die Unfähigkeit, über den Körper Zuneigung zu zeigen, liegt in unserer Herkunft.“

Ein dreister Insert zeigt auf drei Seiten nackte Frauen in Interieurs – nein, sie gehören nicht zur Familie. Sie entstammen einem anderen Projekt, das Barney verfolgt, den Konventionen von Sitte und Form insofern unterlegen, als sie sich an Frauenkörper hält.

Bei wechselndem Personal sind die Hauptfiguren des Buchs der Bruder Philip mit seinen blauen Augen unter gelüpften Brauen; und die Schwester Jill, eine Geldeule zum Fürchten. Für das Gegenprogramm stehen die uneitle Freundin Sheila und die heranwachsenden Söhne Barneys, die jene Angst vor Berührung nicht zu teilen scheinen.

Die Namen sind unter den Bildern meistens genannt; mit viel Mühe kann man die Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen erraten. Gelegentlich tauchen auch Hausangestellte auf. Sie machen keine schlechte Figur. Kein Wunder, sie kennen den Weg nach draußen.

Tina Barney: „Fotografien. Von Familie, Sitte und Form“. Scalo Verlag Zürich, 256 Seiten, Farbe, 98DM

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