piwik no script img

Zwangsheirat von Szene und Kulturwüste

Die neuen Bezirke (neunte und letzte Folge): Bei der Fusion sieht sich das grün regierte Schöneberg von der „Betonriege“ der seit Jahrzehnten in Tempelhof herrschenden CDU bedroht. Dort wiederum fürchtet man die Ausgaben für soziale Brennpunkte im Schöneberger Norden  ■ Von Bernhard Pötter

Der Termin paßte wie die Faust aufs Auge. Am Freitag nach dem schwarzen Donnerstag stellte Schönebergs Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer (Bündnis 90/ Die Grünen) das Festprogramm des Bezirks für 1998 vor: Genau vor hundert Jahren wurden Schöneberg die Stadtrechte verliehen, der Ort an der Peripherie Berlins somit zur eigenständigen Stadt.

Damit ist es nun vorbei. Denn keine 24 Stunden vor dieser Pressekonferenz hatte das Abgeordnetenhaus am 26. März das Ende der Schöneberger Eigenständigkeit beschlossen: Laut Bezirksreform wird der Bezirk mit dem Nachbarbezirk Tempelhof zum dann größten Verwaltungsgebilde der Hauptstadt mit etwa 340.000 EinwohnerInnen zusammengelegt. Glücklich sind Politik und Verwaltung der Bezirke darüber nicht. Denn eine Liebesheirat ist die Fusion von Schöneberg und Tempelhof nicht – und in den Bezirken werden auch Zweifel daran laut, ob die Liaison eine Vernunftehe ist.

Zu unterschiedlich seien die Bezirke, als daß aus ihnen eine Einheit werde könne, heißt es. Hier eine ehemalige Hochburg der Besetzerszene, mit einem bunten Kulturangebot und sozialen Brennpunkten. Dort die „kleinbürgerliche Kulturwüste“ Tempelhof, die seit Jahrzehnten mit Mehrheit von der CDU regiert wird und wo gerade das erste indische Restaurant eröffnet wurde.

In der Tat läßt sich die Differenz jenseits des „Bezirksgefühls“ auch mit Zahlen belegen. Grob vereinfacht: In Schöneberg leben mehr Sozialhilfeempfänger, mehr Ausländer, mehr Arbeitslose, Tempelhof ist größer, grüner und wohlhabener als der zukünftige Partner. (siehe Kasten).

Diese Ungleichheit sieht Rüdiger Jakesch geradezu als Chance. Der Schöneberger CDU-Bürgermeister von 1983 bis 1989 findet die Zusammenlegung zwar „im Herzen eine traurige Sache“, doch als Mitglied des Abgeordnetenhauses befürwortet er die Reform als „vernünftig und richtig“. Ein Hindernis sei die unterschiedliche soziale Mischung nicht, denn auch innerhalb von Schöneberg gebe es völlig verschiedene Gegenden. „Wir wollen ja gerade, daß leistungsfähige Bezirke entstehen und der Fortschrittlichere den anderen mitzieht.“

Das nun sieht Elisabeth Ziemer ganz anders. Schließlich gilt Schöneberg bei der Umgestaltung der Verwaltung zu mehr Bürgerfreundlichkeit und zum verantwortlicheren Umgang mit den Haushaltsmitteln als weit vorangeschritten – im Gegensatz zu Tempelhof.

„Wir stehen bei der Verwaltungsreform mit an der Spitze, Tempelhof hat noch nicht einmal angefangen“, meint Bürgermeisterin Ziemer. Für die Mitarbeiter der Verwaltung sei es extrem demotivierend, jetzt mit der Arbeit wieder von vorn zu beginnen, moniert die grüne Bezirkschefin.

Dieses Urteil über seinen Bezirk nennt der Tempelhofer Bürgermeister Dieter Hapel (CDU) „wenig kollegial“ – und zeigt damit, wie schlecht die Stimmung zwischen den Bezirken bereits vor den Verhandlungen über eine gemeinsame Verwaltung sind.

Noch bis zur knappen Entscheidung des Parlaments über die Bezirksreform hatten die Bezirke auf ein Scheitern der Pläne gehofft und keine Überlegungen zur gemeinsamen Zukunft angestellt. An den Tagen danach mußten sich beide Verwaltungen erst einmal vom Kater erholen und sich auf die Realität einstellen. „Vieles, was Schöneberg an Vorarbeiten für die Verwaltungsreform geleistet hat, wurde für den Papierkorb erarbeitet“, so Hapel. Da ohnehin nach der Fusion und einer neuen Gesetzeslage zur Verwaltungsreform vieles anders werde, sei Tempelhof durch seine Zurückhaltung „etwas im Vorteil“.

Auf beiden Seiten sind die Hoffnungen klein, die Befürchtungen groß. Hapel kritisiert die „phantasielose Zusammenlegung ganzer Bezirke“ statt die neuen Grenzen nach gegenseitiger Veträglichkeit zu schneidern, jetzt müsse man „in den sauren Apfel beißen“. Der Tempelhofer Bürgermeister bangt um das knappe Geld und fürchtet einen „internen Wertausgleich zugunsten Schönebergs und zu Lasten des traditionell sparsamen Tempelhofs“.

Ziemer wiederum sorgt sich, ob eine gemeinsame BVV Projekte etwa wie das „interkulturelle Haus“ in der Schöneberger Geßlerstraße weiter finanzieren wird, wo sich die unterschiedlichsten Migrationsgruppen unter einem Dach zusammengefunden haben. Beide Seiten beharren auf dem eigenen Charakter ihres jeweiligen Bezirks.

Auch weiterhin würden sich wohl die Friedenauer als Friedenauer und die Lichtenrader als Lichtenrader fühlen; Hapel verweist auf die „sehr starke Bezirksidentität in Tempelhof“ hin: „Wer hier groß geworden ist, der bleibt hier. Ich rechne nicht damit, daß es viel Vermischung über Umzüge geben wird.“

Über den Tisch gezogen fühlen sich die Schöneberger bei der Repräsentation in einer gemeinsamen Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Denn von den 69 Sitzen in der Übergangszeit soll Schöneberg nur 29, Tempelhof aber 40 bekommen. Das Verhältnis sei „geschickt ausgemendelt“ worden, meint die grüne Bürgermeisterin Ziemer, weil nicht die EinwohnerInnen der Bezirke, sondern nur die Wahlberechtigten zur Grundlage genommen wurden. Und da schneidet Schöneberg mit seinem hohen Anteil an nicht- wahlberechttigten Ausländern schlechter ab.

Vor allem herrschen in Schöneberg Bedenken gegenüber einer zumindest auf der Basis des Wahlergebnisses von 1995 neu entstehenden Mehrheit der CDU in einer BVV Tempelhof/Schöneberg. Und was für einer CDU: Eine „Betonriege“ sei das, sagt der grüne BVV-Fraktionschef von Tempelhof, Herbert Mücke.

Die CDU habe in den letzten Jahrzehnten mit absoluter Mehrheit regiert und Diskussionen mit dem politischen Gegner nicht nötig gehabt. „Das ist ein erzkonservativer CDU-Bezirk, was etwa innere Sicherheit, Verkehrs- und Schulpolitik angeht.“

Wenn die CDU das Bauressort in einem gemeinsamen Bezirksamt übernehme, würde in Zukunft eher Investorenpflege betrieben als Stadtplanung; die Zukunft der Tempo-30-Zonen in Schönebergs Kiezen sei dann ungewiß.

Für die Grünen wiegt der „Verlust“ von Schöneberg doppelt und dreifach schwer. Mit den grünen BezirksbürgermeisterInnen verschwinden nicht nur „Denkanstöße und Argumentationen“, wie Elisabeth Ziemer befürchtet. Auch die „nicht unerhebliche Darstellungsmöglichkeit“ der Partei nähme ab. Und schließlich verlören Bündnis 90/Die Grünen auch eine wichtige Einnahmequelle: Bisher nämlich führen die grünen Stadträte und Bürgermeister einen Teil ihrer Bezüge an die Parteikasse des Landesverbands ab.

Auswirkungen für die Bürger? Ziemer befürchtet weite Wege für die Menschen bei Behördengängen, was allerdings Hapel und Jakesch vehement bestreiten. Schließlich sei das Ziel der Reform gerade, die Verwaltung bürgernäher zu machen, meinen die CDU- Politiker – was Ziemer damit kontert, die Bezirksverwaltung werde in den nächsten Jahren völlig mit sich, dem Zusammenwachsen und der eigenen Reform beschäftigt sein.

Bei allem Zwist zwischen den Partnern deutet sich wenigstens auf einem Gebiet eine Einigung an: Der Sitz des gemeinsamen Bezirksamtes soll einen „hohen Symbolcharakter“ haben: Selbst Tempelhofs Hapel kann sich vorstellen, als Bürgermeister ins Rathaus Schöneberg umzuziehen, wo zu Mauerzeiten das Abgeordnetenhaus saß und sich US-Präsident John F. Kennedy zum „Bärliner“ ausrief.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen